Noch
, [
513-514] eine Partikel, welche im
Deutschen von einem großen Umfange ist, und bey einem gehörigen Gebrauche viel
zu dem Nachdrucke und zu der Ründe der Rede beyträgt. Sie kommt in einer
dreyfachen Hauptbedeutung vor, und stammet in denselben allem Ansehen nach auch
aus einer dreyfachen Quelle her. 1. Als ein Bindewort oder Nebenwort, eine
Verneinung zu bezeichnen, doch nur alsdann, wenn mehrere Dinge in einzelnen
Sätzen oder Gliedern verneinet werden. Noch sielt uf ere noch uf tugent, der
Burggraf von Riedenburg. Noch hende noch die fueze, eben derselbe. Noch nid
noch has der nie gelag, ebend.
Verhundert, daß noch Recht noch Satzung reden kann, Opitz.
Hier will noch Ceres weichen, Noch Bacchus, ebend. Du sollst dich selber nicht
noch loben noch verachten, ebend.
In dieser Gestalt ist es im Hochdeutschen veraltet, und wir
gebrauchen es nur zur Fortsetzung einer aus mehrern Gliedern bestehenden
Verneinung, da denn das erste Glied weder bekommt, alle folgende aber mit noch
verneinet werden. Er hat weder Geld noch Credit. Er ist weder krank noch
gesund. Verrio ist weder zur Freundschaft fähig, noch fähig, Freundschaft in
andern zu erregen. Wenn mehrere Sätze auf einander folgen, welche aus solchen
sich auf einander beziehenden Verneinungen bestehen, so wird das weder - noch
so oft wiederhohlet, als der Sinn der Rede es erfordert. Weder Freude noch
Leid, weder Glück noch Stern, weder Ruhm noch Ehre. Im Oberdeutschen wird für
weder - noch, das weder zwey Mahl gebraucht,
S. dieses Wort. Indessen folgt dieses noch im
Hochdeutschen nicht bloß auf weder, sondern es setzt eine jede vorher gegangene
Verneinung fort, wenn selbige aus einzelnen Gliedern bestehet; ein Gebrauch,
welchen Gottsched tadelte, der aber das Ansehen aller Zeiten und Schriftsteller
und selbst das Lat. neque für sich hat. Ich will dich nicht verlassen, noch
versäumen. Kein Mensch noch Thier. Ich habe es niemahls gesehen, noch etwas
davon gehöret. Nichts Neues noch Erhebliches. Ein herrlicher Tod, nicht auf dem
Rosenbette der weichlichen Muße, nicht gleichgültig dem Vaterlande, noch
unberühmt bey den künftigen Enkeln. Es lautet in dieser verneinenden Bedeutung
schon im Isidor und bey dem Kero noh, und kommt so wohl in dem Klange, als in
dem Gebrauche sehr mit dem Lat. nec und neque überein. Da es eigentlich auch
nicht, und nicht bedeutet, so ist sehr wahrscheinlich, daß es hier aus der
alten Verneinung ni, und oh, auch, zusammen gesetzet worden, so wie bey den
ältesten Deutschen Schriftstellern joh, von ja, und och, auch, als ein
Gegensatz von noch vorkommt. Die Lateinischen nec und neque sind auf ähnliche
Art aus ne und ac, und ne und que zusammen gesetzet. 2. Als ein Nebenwort der
Zeit oder Bindewort, die Fortdauer einer gegenwärtigen Handlung zu bezeichnen,
für bis jetzt, obgleich mit einem Nebenbegriffe, welcher sich besser empfinden,
als durch Worte ausdrucken lässet; im Gegensatze des nicht mehr. Der Begriff
des Gegenwärtigen beziehet sich alle Mahl auf die redende Person, oder auch auf
die gemeldete Handlung. Er lebt noch. Ich weiß es noch. Bist du noch böse? Ist
er noch da? Er ist noch immer krank. Es ist noch früh, im Gegensatze des, es
ist nicht mehr früh. Als er noch schlief. Die Witterung war noch günstig, als
er ausreisete. Kann es noch bewerkstelliget werden? Wohl ihm, wenn es noch
ändern kann, wenn es jetzt zur Änderung nicht zu spät ist. Als noch das
Vaterland deine Hände bewaffnete, Dusch.
Warum er unsrer Welt vor tausend andern rief, Als alles in der
Nacht der Möglichkeit noch schlief, Gieseke;
besser: als noch alles u. s. f. Weißt du noch, wie schwer
sein stolzes Herz mir den Sieg machte? Dusch. So oft ich ihn noch gefraget
habe, hat er es alle Mahl geläugnet. Die so genannten Großen, werden oft noch
bey ihrem Leben sehr klein. Sie nahmen auch doch noch mit? Wo es in der
gewöhnlichen erzählenden Wortfügung nach einer nachdrücklichen Inversion auch
voran gesetzet werden kann. Noch ist er nicht da, für er ist noch nicht da.
Noch niemahls habe ich so etwas gesehen. Noch ist es Zeit. Noch zur Zeit nicht,
gegenwärtig noch nicht. Aber ach! noch irr ich immer hin, wohin der Gram mich
bannt.
Umkränzt mit Rosen eure Scheitel, Noch stehen euch die Rosen
gut, Haged.
Es kann, ob es gleich ein Nebenwort ist, nicht allein
Zeitwörtern, sondern auch andern Redetheilen zugesellet werden, wo die vorige
Bedeutung im Ganzen bleibt, ob sie gleich in einzelnen Fällen zuweilen manche
Nebenbedeutungen an sich nimmt. Mit noch blutigen Händen. Besonders in
Verbindung mit Nebenwörtern. Noch heute soll es geschehen. Ich habe ihn noch
gestern gesehen, erst gestern. Da es noch kaum Tag war, vix dum.
[
515-516] Der frühe Hahn hat kaum noch den Morgen
gegrüßt, Geßn.
Kaum hatte noch des Schneiders Hand Dem Affen ein erflickt
Gewand Von bunten Flecken umgehangen. Gell.
In dem Schooße des Stückes ist noch selten ein Mann erzogen
worden, Dusch. Zuweilen bedeutet es sehr bestimmt bis jetzt. Der
niederträchtigste Mensch, den ich noch gesehen habe. Oft aber druckt es auch
eine von jetzt an noch künftige Zeit aus, wo es auch zu der folgenden
steigenden Bedeutung gehören kann. Er wird noch kommen. Er kommt noch. Er wird
schon noch kommen. Es findet sich wohl noch jemand, der es thut. Was wirds noch
werden? Wie lange sollte deine Blüthe und deine Schönheit diese Blumen wohl
noch überleben? Dusch. Wo es denn oft in der vertraulichen Sprechart zugleich
andeutet, daß eine Sache noch nicht geschehen ist. Er soll noch wieder kommen.
Ich soll es noch wieder haben. In Gesellschaft mit den verneinenden Wörtern
nicht, nichts, nie, niemahls u. s. f. hat es die einfache Bedeutung des bis
jetzt. Er ist noch nicht da, im Gegensatze des schon. Es ist noch nicht Zeit.
Das habe ich noch nie gesehen. Das ist noch niemahls geschehen. Sagst du mir es
noch nicht, wo er ist? Noch ist die Sonne nicht hinter dem Berge hervor, Geßn.
Auch in dieser ganzen Bedeutung lautet es schon bey den ältesten Oberdeutschen
Schriftstellern noh, im Nieders. nog, nah. Von dem vorigen ist es ganz
verschieden, vielleicht auch von dem folgenden. Es scheinet in der Bedeutung
der gegenwärtigen Zeit mit nahe, nun, und neu verwandt zu seyn, zumahl da Kero
in dieser Bedeutung nunoh für noch gebraucht. Die Lateiner drucken es durch
adhuc, etiam nunc, etiamnum, etiam dum u. s. f. aus. Im Oberdeutschen und
zuweilen auch im Hochdeutschen wird dafür auch das verstärkte annoch gebraucht.
S. dasselbe. 3. Als ein Nebenwort, welches eine
steigernde, vermehrende Bedeutung hat. Eine Zahl oder Menge zu steigern. Er
sagte noch, u. s. f. Dazu kommt noch, es kommt noch dazu, noch kommt dazu,
welche Inversionen doch nicht in allen Fällen angehen. Außer dem habe ich noch
dieses. Es sind ihrer noch mehr. Ich habe dir noch viel zu sagen. Ich habe dir
noch etwas zu sagen. Ich will sehen, ob ich nur noch einige Tage Aufschub
erhalten kann. Einige Tage sollten nur unsere Glückseligkeit verschieben. Noch
ist hier eine Bittschrift einer Emilie Bruneschi, Less. Eines müssen sie mir
noch versprechen. Ich habe noch für ein größer Geschenk gesorgt, Gell. Für ein
noch größeres Geschenk, würde den Comparativ steigern. Und wenn ich auch noch
zehn Jahre auf seine Hand warten sollte, Gell. Ich muß dich noch etwas fragen,
ebend. Besonders mit Zahlwörtern. Sage mir es noch Ein Mahl. Thue es nur noch
ein Paar Mahl. Wenn du noch Ein Mahl wieder kommst. Ich sage es noch Ein Mahl.
Noch zwey Mahl so viel. Noch Ein Mahl so lange. Ich bin des Todes, wenn das
noch Eine Stunde währet. Ingleichen mit Comparativen. Noch größer, noch länger,
noch weiter. Das wird meinen Schmerz noch vergrößern, noch größer machen. Das
macht ihn mir nur noch lieber. Sie ist noch tugendhafter als Doris. Im gemeinen
Leben pflegt man das einfache noch zuweilen für noch Ein Mahl so zu setzen,
welches aber die gute Schreibart gern vermeidet. Vorhin sang sie noch so artig,
noch Ein Mahl so artig. Es muß noch so viel seyn, noch Ein Mahl so viel.
[
517-518] Sehr oft steigert es auch die Intension,
besonders anderer Nebenwörter. Das ist noch weit gefehlt. Es ist noch lange
nicht Tag. Kommen sie noch so spät? Mancher der sich für noch so weise hält,
ist dennoch ein Thor. Kaum hört man noch ein Vögelchen im Gebüsche zwitschern,
Weiße. Machen sie mir noch so viele Vorwürfe, Gell. Wenn er mich auch noch so
sehr bitten sollte. Was ist der beste Mensch, der auf der Bahn des Lebens noch
so vorsichtig wandelt? Gell. Wenn es mir auch noch so sauer werden sollte,
ebend. Und wenn es auch noch so sehr mit meinen Wünschen stritte, ebend. Sie
habe ihrem Bräutigam noch so viel zu danken, so bin ich ihnen doch eben so viel
schuldig, ebend. Ich mag ihm noch so sehr zureden, er thut doch was er will.
Ich konnte kaum den Thurm und also noch viel weniger die Kirche sehen. Oft
bedeutet es, dessen ungeachtet, nach allem was vorher geschehen, oder im
vorigen gesagt worden. Du kannst noch lachen? Du unterstehest dich noch, mich
darum zu bitten? Dieß könnt ihr noch von mir begehren? Gell. Du unterstehest
dich noch, ihn zu vertreten und zu entschuldigen? ebend. Und er konnte noch die
Wahrheit für Schmeicheley halten. Ich hatte es deutlich gesehen, und er wollte
es noch läugnen.
Welche derbe grobe Speise! Und ihr zankt euch noch um sie?
Michäl.
Es kommt in dieser Bedeutung dem davon gebildeten weit
bestimmtern dennoch nahe, und wurde ehedem gemeiniglich dafür gebraucht. Schon
im 8ten Jahrhunderte kommt das noh für dennoch vor, und Ottfried und seine
Nachfolger gebrauchen es beständig so, dagegen bey den Schwäbischen Dichtern ie
noh dafür gefunden wird. Noch ließ er mit nichte darvan, Theuerd. Kap. 63.
Wiewohl mein arbeit ist verlorn Bißher gewesen an dem Held
gehewr, Noch so wil ich mein abentheuer Versuchen u. s. f. Kap. 57.
Wo man auch häufig noch dannoht für dennoch findet. Siehe
Dennoch. Oft dienet noch bloß zur Intension der ganzen Rede, und bekommt
alsdann allerley kleine Nebenbedeutungen, welche sich schwerlich mit andern
Ausdrücken erschöpfen lassen. Er befahl es mir noch auf seinem Todbette. Wenn
er mir es noch gesagt hätte, so sollte es mich nicht verdrießen. Das ginge
schon noch an. Das läßt sich noch essen. Auch sein Vergehen ist noch ein
Verdienst, Gell. Auch selbst der Zorn läßt ihr noch schön, ebend. Sie sollen
auch nach meinem Tode noch glücklich seyn. Anm. Auch in dieser Bedeutung bey
den ältesten Schriftstellern noh, im Nieders. nog und noch. In einigen Fällen
der 3ten Bedeutung kann es wohl eine Figur der zweyten seyn; allein in den
meisten ist es doch wohl ein eigenes Wort, welches entweder zu nug in genug
gehöret, oder auch von auch, vermittelst des n als eines müßigen Vorschlages,
welcher sich vor so vielen andern Wörtern findet, gebildet worden, zumahl da
man es im Lat. in den meisten Fällen durch etiam, etiam si u. s. f. ausdrucken
muß. [
517-518]