Mehr
, [
145-146] adj. et adv. welches
eigentlich der Comparativ des veralteten Positivi meh, viel, groß, ist, und im
Superlative mehreste und meiste hat. Es ist in doppelter Gestalt üblich. I. Als
ein Nebenwort, wo es überhaupt eine größere Menge bezeichnet. 1. Eigentlich. So
wohl mit ausdrücklicher Meldung dessen, worauf sich die größere Anzahl
beziehet, oder dessen, was der Maßstab der Vielheit ist, da denn im Nachsatze
alle Mahl als, im Oberdeutschen aber auch denn folget. Das ist mehr als ich
brauche. Ich habe mehr als nöthig ist. Er thut mehr als er soll. Ich habe es
dir mehr als zehn Mahl gesagt. Er ist mehr als 50 Jahre alt. Ich bekomme nicht
mehr als du. Alte Leute sagen oft mit einem Worte mehr, als die Jugend in zehen
Jahren nicht fassen kann, Gell. besser, als die Jugend in zehen Jahren fassen
kann. Oder so, daß dasjenige, worauf sich die Mehrheit beziehet, darunter
verstanden wird. Drey Mahl mehr, zehn Mahl mehr. Es ist ein wenig mehr. Etwas
mehr. Noch mehr. Was wollen sie mehr? Ich kann nicht mehr essen. Was konnte ich
mehr thun? Ich sage nichts mehr davon. Das hat etwas mehr zu bedeuten. Ich habe
nicht mehr. Ich habe nichts mehr. Dasjenige, um wie viel die Sache der Menge
nach mehr ist, stehet nach Maßgebung des Zeitwortes in der ersten oder vierten
Endung, gemeiniglich ohne, selten mit um. Das Haus kostet hundert Thaler mehr,
oder um hundert Thaler mehr. Ich gebe keinen Häller mehr. Ich gebe zehen Thaler
mehr. Ich habe nun einen Grund mehr, ihn nicht zu sprechen. Das ist ein Trost
mehr. 2. Figürlich. 1) Die Wiederhohlung einer Handlung zu bezeichnen, wo es
bejahender Weise nur selten vorkommt. Willst du es mehr thun? Willst du mehr
sündigen? Am häufigsten mit der Verneinung. Sündige hinfort nicht mehr, nicht
wieder, nicht öfter. Nicht mehr thun, ist die beste Buße. Niemahls mehr, oder
nimmermehr. 2) Einen geendigten Zustand zu bezeichnen, gleichfalls nur mit der
Verneinung. Ich bin nicht mehr dein Freund. Ich sehe ihn nicht mehr. Ich höre
niemand mehr. Hast du nichts mehr zu thun? Unser Freund lebt nicht mehr. Das
stehet jetzt nicht mehr in unserm Vermögen. Es regnet nicht mehr. Ich kann
nicht mehr essen, sehen, gehen u. s. f. Im Oberdeutschen wird dieses nicht mehr
häufig in nimmer zusammen gezogen. Er lebt nimmer. 3) Mit einigen andern Bey-
und Nebenwörtern der Zeit, der Menge, der Beschaffenheit u. s. f. doch auch nur
verneinungsweise, bedeutet es einen Zusatz, für über dieß, ferner u. s. f.
Unsere Trennung wird nicht mehr lange dauern. Der Frost wird so gar lange nicht
mehr anhalten. Es wird so viel nicht mehr seyn. Es ist kein Mensch mehr da. Ein
Gott ist und keiner mehr, 5 Mos. 4, 35. Sage mir kein Wort mehr. 4) Einen
größern Vorzug, eine größere Würde zu bezeichnen. Er ist mehr als du, er ist
vornehmer. Mehr seyn wollen als andere Leute. Gott ist mehr denn ein Mensch,
Hiob. 33, 12. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise? In den alten Bremischen
Statuten sind die Mehren die Vornehmen. 5) Eine Intension oder größere innere
Stärke der Handlung zu bezeichnen, wo im Positivo viel oder sehr stehet. Ich
liebe ihn jetzt mehr als vorher. Er gilt mehr bey uns als bey euch. Ich muß
meine Sorge mehr auf ihn richten, als auf dich. Du hast es mehr mir als ihm
zuzuschreiben. Daran ist mehr dein Glück, als dein Verstand Schuld. Solche
Leute sind mehr zu bedauern, als zu verachten. Man muß Gott mehr gehorchen,
denn den Menschen, Apostelg. 5, 29. Um so viel mehr, aus dieser oder folgender
Ursache desto stärker. (
S. auch Vielmehr.) Wohin auch einige besondere Arten des
Ausdruckes gehören. (a) Mehr und mehr, noch häufiger immer mehr und mehr,
ehedem je mehr und mehr, je länger, je stärker.
Wir wollen mehr und mehr Gott dankbar seyn, Opitz.
Er gefällt mir immer mehr und mehr. Mer unde mer, Willeram.
(b) Das ist nicht mehr als billig, das ist vollkommen billig. Das Hundert war
schon mehr als voll, Less. reichlich voll. (c) Mehr als zu oft, mehr als zu
viel, mehr als zu groß u. s. f. überflüssig oft, viel, groß. Die Sache ist mehr
als zu gewiß. O, ich kenne mich mehr als zu wohl. Sie gefallen ihm mehr als zu
sehr. Was nachmahls mehr als zu oft geschahe. Ich fürchte, daß mir diese
unglückliche Entdeckung schon mehr als zu bekannt ist, Gell. (d) Je mehr ich
der Sache nachdenke, desto mehr finde ich dich schuldig. Je mehr er hat, je
mehr er haben will. Endlich, 6) dienet dieses Nebenwort auch in einigen Fällen
Comparative zu machen; und zwar, (a) wenn das Beywort keinen eigenen Comparativ
leidet, oder derselbe den Wohlklang beleidiget. Sey künftig meiner mehr
eingedenk. Wohin besonders die Mittelwörter gehören. Ein noch mehr geliebtes
Kind. Da dann der Superlativ mit am meisten gemacht wird. (b) Wenn die
Vergleichung vermittelst zweyer Nebenwörter ausgedruckt wird. Mein Herz ist
mehr als traurig, als lustig. Gott mehr gütig als gerecht denken, ist eben so
viel, als Gott entehren, Gell. In andern Fällen ist der Gebrauch dieses Wortes
statt des Comparatives eine unzeitige Nachahmung des Französischen, wo die
Comparative nicht anders als mit plus gemacht werden können. Nur muß man nicht
das für Comparative halten, wo 7) eine größere Intension der ganzen Handlung
oder des ganzen Zustandes ausgedruckt wird. Nichts spricht ihn davon mehr frey,
als seine Jugend. Jeder Mensch ist frey, und nie muß er es mehr seyn, als wenn
es die Wahl seines Glückes betrifft. II. Als ein Beywort, welches wieder auf
gedoppelte Art gebraucht wird. 1. Als ein unabänderliches Beywort, welches doch
nur in der ersten und vierten Endung, so wohl des Singulars als Plurals stehen
kann, und sein Hauptwort bey sich haben muß, d. i. als ein wahres Beywort nicht
absolute stehen kann, außer bey einigen Fürwörtern. Es ist in dieser Gestalt
die abgekürzte dritte Declination der Beywörter; mehr für mehres, wie viel für
vieles. Es bezeichnet alsdann alle Mahl einen größern Grad der Menge und der
Intension, und zwar auf eine so unbestimmte Art, daß es
[
147-148] weder einen Artikel vor, noch ein Fürwort
unmittelbar nach sich leidet. Gib mir ein wenig mehr Geld. Mehr Leute habe ich
nie gesehen. Nie habe ich mehr Schmerzen empfunden. Sie haben ja weit mehr
Verdienste als ich. Ich habe ihm auf mehr als Eine Art bedienet. Es besitzet
immer ein Mensch mehr Einsicht, als der andere. Du hast mehr Glück als
Verstand. Deine Bestimmung erfordert mehr Eingezogenheit, mehr Stille und Ruhe
des Geistes. Selten stehet es in diese Bedeutung vor einem Hauptworte der
dritten Endung. Seit zehen und mehr Jahren. Ist der Ausdruck so bestimmt, daß
das Hauptwort einen Artikel oder ein Fürwort vor sich hat, oder statt dessen
ein Fürwort stehet, so gebraucht man (a) entweder ein Vorwort. Mehr von dieser
Waare. Schicken sie mir mehr von diesen Leuten. Oder (b) das mehr tritt hinter
das Hauptwort, welches alsdann, besonders in der edlern und höhern Schreibart,
alle Mahl in der zweyten Endung stehet. Es wird des Holzes nicht mehr werden.
Und was der Dinge mehr sind. Ich habe des Zeuges mehr, als ich brauche. Es
müßte denn ein Vorwort eine andere Endung erfordern. So gehts mit andern Dingen
mehr. Das Fürwort solch leidet das mehr so wohl vor als nach sich. Ich habe
solcher Leute mehr gesehen, oder mehr solche Leute, oder mehr solcher Leute,
oder auch solche Leute mehr. Es gibt solcher Leute mehr. Ich habe solche
Mädchen mehr vor mir gehabt, Gell.
Dieß und viel anders mehr gab mir der Argwohn ein. Weiße.
Nur wenn das Hauptwort von einem Fürworte vertreten wird, so
muß solches alle Mahl voran und in der zweyten Endung stehen. Ich habe dessen
mehr als nöthig ist. Unsrer sind mehr als der eurigen. Es kommen ihrer noch
mehr. Wo doch zuweilen auch ein Vorwort Statt findet. Es kommen noch mehr von
ihnen. 2. Als ein abänderliches Beywort, welches ein eigener Comparativ ist,
welcher in gedoppelter Bedeutung gebraucht wird. 1) Eine absolute Vielheit, d.
i. mehr als Eins, zu bezeichnen, ohne zu bestimmen, ob solches mehr oder wenig
sey. In dieser Bedeutung, in welcher es dem Eins entgegen gesetzet ist,
scheinet es erst in den neuern Zeiten eingeführet zu seyn. Es leidet in
derselben den bestimmten Artikel, ohne ihn doch nothwendig zu erfordern. Die
mehrere Zahl, der Plural, im Gegensatze der einfachen, oder des Singulars. Ich
habe ihn zu mehrern Mahlen gesehen, mehrmahls, mehr als Ein Mahl. Die zusammen
gesetzten Maschinen bestehen aus der Verbindung mehrerer einfacher Maschinen.
2) Als ein wahrer Comparativ, von einer größern Menge, und von einem größern
Grade der Intention. So wohl conjunctive und mit dem Hauptworte, doch nur in
der zweyten und dritten Declination der Beywörter, folglich ohne den bestimmten
Artikel. Einige mehrere Aufmerksamkeit wäre hier wohl nöthig gewesen, für
einige größere. Dazu wird eine mehrere Anstrengung der Seelenkräfte erfordert.
Besonders in der dritten Declination der Beywörter, wo man es in der edlern und
anständigern Schreibart gern für das unabänderliche mehr gebraucht. Eine Sache
mit mehrerm Fleiße verrichten, mit mehr Fleiß. Es braucht noch mehrere
Gewißheit. Wir wollen es mit mehrern Worten erklären.
Ein Fuchs, Der oft mit mehrerm Glück als Rechte Der schnellen
Hunde Spur entging. Lichtw.
Es ist hier eine Nachahmung der Oberdeutschen Kanzelleyen,
welche dieses declinable mehrer dem indeclinablen mehr gern vorziehen,
[
149-150] vermuthlich aus keiner andern Ursache, als
weil es um eine Sylbe länger ist. Im Hochdeutschen folget ihnen, wie schon
gesagt worden, die edlere Schreibart darin zuweilen nach, obgleich die
Zusammenkunft zweyer und dreyer r nicht alle Mahl den besten Wohllaut macht.
Als auch absolute und ohne Hauptwort, für welchen Fall dieses mehrer eigentlich
bestimmet ist, indem das kürzere mehr sich nur selten auf diese Art gebrauchen
lässet. Es stehet alsdann, doch nicht ohne Unterschied, bald im Singular,
collective, bald auch im Plural. Das thun mehrere, d. i. Menschen. Ich habe es
mehrern gesagt, mehrern Menschen. Republikanische Regierungen, wo eine große
That von mehrern bemerket wird. Das soll künftig mit mehrern erläutert werden,
weitläufiger, mit mehrern Worten. Ein mehreres kann ich dir jetzt nicht geben.
In den Kanzelleyen ist man mit diesem absoluten Beyworte noch freygebiger.
Solches haben wir des mehrern ersehen, umständlicher, weitläufiger. Diese
Anstalten zeigen des mehrern u. s. f. Wo man auch es sogar als ein Nebenwort
gebraucht. Wir müssen hierin um so mehrers ansuchen, um so viel mehr. Der
eigentliche Superlativ von diesem Comparativ heißt der mehreste, so wie er von
dem alten meh, meiste lautet, welches aus meheste zusammen gezogen ist. Er ist
mit dem letzten völlig gleichbedeutend, nur mit dem Unterschiede, daß man ihn
in der edlen und anständigen Schreibart dem, obgleich ohne Noth für niedriger
gehaltenen meist gern vorzuziehen pflegt. Der mehreste Theil, der meiste Theil.
Die mehresten Stimmen gelten lassen, die meisten. Das kränkt mich am mehresten,
am meisten. Viele, besonders Oberdeutsche Schriftsteller, gebrauchen statt
beyder Superlativen gern den Comparativ mehrer. Das mehrere Theil wußte nicht,
warum sie zusammen kommen waren, Apostelg. 19, 32. Ihrer bestanden das mehrere
Theil auf dem Rath, Kap. 27, 12. Welches auch wohl Hochdeutsche Schriftsteller
aus einer eingebildeten Zierlichkeit nachahmen. Die mehrern Stimmen gelten
lassen. Anm. Dieses alte Wort lautet, so fern es eine größere Menge oder
Intension bedeutet, schon seit dem 7ten und 8ten Jahrhunderte im Oberdeutschen
mer, mera, im Niedersächsischen und Dänischen meer, im Engl. more, im Angels.
mare, und im Schwed. mer. Wenn man unser heutiges mehr oder mehrer genau
untersucht, so scheinen beyde von zwey verschiedenen, obgleich genau verwandten
Stämmen herzukommen. Das Nebenwort und abänderliche Beywort mehr ist, so fern
es eine größere Menge bedeutet, der Comparativ von dem uralten aber veralteten
Stammworte meh, ma, viel, groß; Comparat. meher, zusammen gezogen mehr; Superl.
meheste zusammen gezogen meiste, für mehste. Dieses meh, ma, welches so wohl
groß als viel bedeutete, lautet noch bey der Winsbeckinn me, im Epirotischen
maa, im Wallis muy, und ist mit unserm Macht, Menge, Mast, Mastbaum, Mauer,
Mauch, michel, groß, Meister, dem Lat. magis, multum, magnus, major, maximus,
dem alten Gothischen maiza, mais, mehr, dem Griech. -
hier
nichtlateinischer Text, siehe Image - ; -
hier nichtlateinischer Text,
siehe Image - , dem Hebr. -
hier nichtlateinischer Text, siehe
Image - , hundert, und andern genau verwandt, welche insgesammt durch
allerley Ableitungssylben davon herstammen. Von diesem ma, me, stammet
vermittelst des Ableitungslautes r ein neues Beywort her, welches im Positive
mar, mehr, lautet, und gleichfalls groß und viel bedeutet, und unter andern
auch noch bey dem Hornegk sehr häufig vorkommt, auch noch in dem Wallachischen
mare, groß, vorhanden ist. Dieser im Deutschen veraltete Positiv scheinet noch
in denjenigen Bedeutungen des Nebenwortes mehr zum Grunde zu liegen, wo es
keine eigentliche [
149-150] Vergleichung voraus setzet.
Von ihm kommen der Comparativ mehrer, der also kein neuer Comparativ von der
zweyten Staffel mehr ist, und der Superlativ mehreste her. Dieser mar, mehr, im
Comparat. mehrer, bedeutete ehedem auch groß, in welchem Verstande es im
Oberdeutschen, und besonders in der Schweizerischen Mundart noch häufig
vorkommt. Ob es mehrere Stadt, Bluntschli. Das mehrere Spital, ebend. das
größere. Meriris, maioris, Kero, bey welchem auch Meririn die Vorfahren,
Majores, sind. Ja noch 1477 heißt die älteste in Augsburg die mehrere der
Geburt. Ehedem war mehr auch in ein Bindewort, welches aber bedeutete, und noch
in dem Holländ. maer, in dem Franz. mais, und Ital. ma vorhanden ist, im
Hochdeutschen aber nicht mehr gehöret wird. [
149-150]