1. Halb
1. Halb,
[
909-910] halben und halber, drey
Partikeln, wovon wenigstens die beyden letztern eigentlich Hauptwörter sind,
und welche jetzt noch in folgenden Fällen gebraucht werden. 1) * Die Seite
eines Körpers zu bezeichnen. Bey den Schwäbischen Dichtern bedeutet anderthalp,
auf der andern Seite, bey dem Ottfried in allon anahalban min, auf meiner
ganzen Seite. Doch in dieser Bedeutung ist es außer dem Worte allenthalben
nunmehr veraltet,
S. Halbe und Allenthalben. Im Oberdeutschen hat man noch
beydenthalben, auf beyden Seiten, und enhalb, für jenseit. 2) Die Gegend, die
Richtung in Beziehung auf einen andern Körper, wo das halb noch in einigen
zusammen gesetzten Nebenwörtern vorkommt, und ungefähr so viel als -wärts
bedeutet. Außerhalb, oberhalb, innerhalb, unterhalb, die äußere, obere, innere
und untere Gegend eines Dinges zu bezeichnen. Da diese Nebenwörter alle Mahl
die zweyte Endung des Hauptwortes erfordern, innerhalb der Stadt, unterhalb des
Flusses, daher sie von einigen auch unter die Präpositionen gerechnet werden,
so erhellet daraus, daß halb auch hier eigentlich das folgende Hauptwort die
Halbe ist. Einige legen diesen Nebenwörtern auch noch die dritte Endung bey,
welches aber in der anständigen Sprechart ungewöhnlich ist, und nur noch
zuweilen bey dem großen Haufen vorkommt; z. B. innerhalb drey Tagen, für
innerhalb dreyer Tage. Siehe diese Wörter selbst. Im Oberdeutschen hänget man
dieses halb noch an andere Wörter. Sonnenhalb kommt bey dem Walser für südwärts
vor, und in Boxhorns Glossen findet sich northhalba und sundhalba für nordwärts
und südwärts. 3) Figürlich, werden halben und halber, so wie die ähnlichen
Vorwörter willen und wegen, oft gebraucht, einen Bewegungsgrund zu bezeichnen,
da sie denn die zweyte Endung des Hauptwortes erfordern und alle Mahl hinter
demselben stehen. Ich thue es der Freundschaft halben. Deiner Verbrechen halben
wirst du gestraft. Die Welt ist gewiß nicht allein des Menschen halben
erschaffen. Ich habe ihn noch einiger Sachen halben zu sprechen. So auch ohne
Artikel. Alters halber hätte er noch lange leben können. Gewissens halber zu
etwas verbunden seyn. Halben wird in diesen Fällen gesetzet, wenn das vorher
gehende Hauptwort den Artikel ausdrücklich bey sich hat; halber aber, wenn
derselbe fehlet, da denn der Articulus Postpositivus dessen Stelle vertritt.
Etwas des Gewinnstes halben thun, oder, etwas Gewinnstes halber thun. Die
meisten gebraucht er halben und halber ohne diesen Unterschied zu beobachten,
der doch sehr gegründet zu seyn scheinet. Wenn kein Artikel vorhanden ist, so
pflegen viele des halber mit dem vorher gehenden Hauptworte zusammen zu ziehen;
scheinshalber oder Scheinshalber, Bethenshalber, Neidshalber, Ehrenhalber,
welches im gemeinen Leben mit dem hier sehr übel angebrachten t euphonico
ehrenthalber lautet. Allein richtiger schreibt man sie getrennt, Scheines
halber, Ehren halber. Ein wirklicher Fehler aber ist es, wenn man noch das
Vorwort um dazu setzet, welches hier völlig überflüssig ist, obgleich Gottsched
sagt, um des Wohlstands halber, für, des Wohlstandes halben. Halb und halben
werden auch häufig mit einigen demonstrativen und relativen Fürwörtern zusammen
gesetzet, welche alsdann gleichfalls in der zweyten Endung stehen, und mit
diesen Wörtern die Gestalt eines Bindewortes bekommen. Derhalb oder derhalben,
und nach der ältern Form derohalben, deßhalb oder deßhalben, weßhalb oder
weßhalben, wo der, deß und weß die verkürzten Genitivi für derer oder deren,
dessen und wessen sind, welche auch wohl im gemeinen Leben wirklich gebraucht
werden, aber alsdann das t euphonicum annehmen; derenthalben, dessenthalben,
wessenthalben. Siehe 2. Der Anm. 3. Für derhalb sagt man lieber derhalben, aber
deßhalb und deßhalben, weßhalb und weßhalben scheinen gleichgültig zu seyn; nur
halber, welches viele in diesen Zusammensetzungen gleichfalls gebrauchen,
möchte schwer zu vertheidigen seyn, weil halben eigentlich die dritte Endung
des Plurals von dem Hauptworte Halbe ist, welche von einem ausgelassenen
Vorworte regieret wird. Eben dieses gilt auch, wenn halben mit den zueignenden
Fürwörtern mein, dein, sein, unser, euer, ihr, zusammen gesetzet wird, von
welchen nur noch dieses zu merken ist, daß sie um des Wohlklanges willen statt
des n ihres Genitivs, ein t annehmen; meinethalben, deinethalben, seinethalben,
unserthalben, euerthalben, ihrethalben, für meinen, deinen, seinen, unsern,
euern, ihren Halben.
S. 2. Dein I. wo schon das nöthigste von dieser
Zusammensetzung gesagt worden. Auf ähnliche Art sagt Cicero pro mea parte,
meinethalben. Ehedem waren halb und halben noch in einigen andern Fällen
üblich. Ist minan halbun gedan, heißt bey dem Ottfried, ist in meinem Nahmen
gethan. Vbe Gott unser halb ist, bedeutet bey dem Notker, wenn Gott für uns
ist. Halb, ein Bey- und Nebenwort, welches Einen Theil von zwey gleichen
Theilen, worein ein Ganzes getheilet wird, bezeichnet. 1. Eigentlich, wo es
nicht bloß von Körpern, sondern auch von der Zeit, dem Raume und mit Einem
Worte von allen Dingen gebraucht wird, welche als ein Ganzes betrachtet werden
können, und wobey man sich eine Theilung in zwey gleiche Theile oder Hälften
gedenken kann. Ein halbes Brot, ein halber Apfel, der halbe Theil, eine halbe
Kugel, ein halber Bogen Papier. Eine halbe Meile, eine halbe Elle, ein halbes
Pfund, ein halber Zentner. Acht Fuß und ein halber. Der halbe Mond. Ein halber
Feyertag, wovon nur die eine Hälfte gefeyert wird. Ein halber Ton. Ein halbes
Jahr, ein halber Tag, eine halbe Stunde. Ein halber Thaler, ein halber Gulden,
ein halber Louis d'or. Die Augen nur halb öffnen. Ich habe es nur halb, d. i.
ich habe nur Eines von den zwey Theilen des Ganzen. Das Gefäß ist nur halb
voll, es ist schon halb leer, bis auf die Hälfte. Etwas halb
[
911-912] von einander brechen, schneiden u. s. f. Es
ist nur halb so groß. Wo in vielen Fällen auf die Gleichheit der Theile nicht
so genau gesehen wird. Halb London saß nunmehr an dem bestimmten Ort, Gell.
Halb ein Mensch und halb ein Fisch seyn, oder halb Mensch, halb Fisch seyn.
Doch welch Entsetzen, seine Schöne, Sein Liebling war halb
Mensch, halb Fisch, Gell. Unsterblich, doch des Todes Raub, Sind wir halb Engel
und halb Staub, Cron.
Zu halben Tagen, oder zu ganzen halben Tagen spazieren gehen,
d. i. mehrere halbe Tage, oft einen halben Tag spazieren gehen. Zu halben
Stunden plaudern.
Die halbe Jahre lang sich kalt zu stellen wissen, Gell.
In manchen Fällen wird so wohl das Bey- als auch das
Nebenwort gebraucht, den Punct oder die Linie zu bezeichnen, welche das Ganze
in zwey gleich große, oder beynahe gleich große Theile theilet; die Mitte.
Jemanden auf halben Wege begegnen, d. i. auf der Hälfte des Weges. Auf den
halben Mann anschlagen, mit einem Feuergewehre nach der Mitte des Mannes
zielen. Im gemeinen Leben sagt man auch im halben Märzen, im halben Aprill u.
s. f. für in der Mitte des Märzes; auf der halben Zeit seyn, in der Hälfte oder
der Mitte der Schwangerschaft; bis in den halben Tag schlafen u. s. f. Am
häufigsten als ein Nebenwort von den Stunden der Uhr. Es ist halb zehen, d. i.
neun Uhr und eine halbe Stunde. So auch halb eins, halb zwey u. s. f. Ich komme
um halb fünf. Mit den ordnenden Zahlwörtern wird halb auf eine besondere Art
verbunden, halbirende Grundzahlen daraus zu bilden, welche denn unabänderlich
sind, und weder in Ansehung des Geschlechtes noch der Zahl verändert werden,
auch keinen Artikel vor sich leiden. Anderthalb, d. i. eines und ein halbes;
dritthalb, zwey und ein halbes; vierthalb, drey und ein halbes; dreyßigsthalb,
neun und zwanzig und ein halbes. Anderthalb Jahr oder anderthalb Jahre.
Dritthalb Gulden. Er both mir es um vierthalb Thaler. Ich habe ihn in fünfthalb
Jahren nicht gesehen. Im gemeinen Leben pflegt man diese halbirenden Zahlen
zuweilen zu decliniren, und in manchen Grammatiken findet man gar die
Declination vorgeschrieben. Es sind anderthalbe Tage, vor drittehalben Jahren.
Allein es ist solches ein eben so großer Mißbrauch, als wenn man diese
halbirenden Grundzahlen zu Ordnungszahlen macht, wie im Oberdeutschen üblich zu
seyn scheinet. Es gehet in das dritthalbe Jahr, für, es find bald dritthalb
Jahre, oder, es gehet in die Hälfte des dritten Jahres, oder es gehet in das
fünfte halbe Jahr. Man kann auf solche Art aus allen Zahlen halbirende Zahlen
bilden; ein und zwanzigsthalb, d. i. zwanzig und ein halbes; neun und
neunzigsthalb, acht und neunzig und ein halbes; hundertsthalb, neun und neunzig
und ein halbes; tausendsthalb, neun hundert neun und neunzig und ein halbes u.
s. f. Dieser Gebrauch der ordnenden Zahlwörter mit dem Worte halb hat etwas
besonders an sich, aber er ist doch schon alt. Im Ripuarischen Gesetze Kap. 20,
heißt es: quinto dimidio solido culpabilis iudicetur, d. i. um fünfthalb
Schillinge; in dem Bündnisse der Könige Alfred und Godrin: reddat 34 solid, cum
Anglis et cum Danis tres dimidias marcas, dritthalb Mark, nicht drey halbe; im
Sachsenspiegel: quartus dimidius numerus. Auf ähnliche Art war bey den Griechen
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , dritthalb Häller;
-
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , siebenthalb Talente. 2.
Figürlich. 1) Von der Quantität, den Graden der Beschaffenheit, der innern
Stärke u. s. f. im Gegensatze des ganz, [
911-912] wo
aber auf die Gleichheit der Grade nicht so genau gesehen wird. Ein halber
Feyertag, der nicht so feyerlich begangen wird, als ein ganzer. Ein halber
Beweis, der noch keine völlige Überzeugung gewähret. Mit halber Stimme singen.
Eine Sache nur halb verstehen. Er war schon halb todt. Noch halb schlafen. Halb
betrunken seyn. Ihr seyd schon eine halbe Leiche, Gell. Es ist nur halb wahr.
Halbe Wahrheiten, Dinge, von denen die Hälfte erlogen, und die andere
erkünstelt ist, Hermes. Halbe Farben, in der Mahlerey,
S. Mittelfarben. Die halbe Trauer, im Gegensatze der
ganzen. Etwas mit halben Augen sehen. Mit halbem Winde fahren, in der
Schifffahrt. 2) Besonders mit dem Nebenbegriffe der Unvollkommenheit. Gott nur
halb dienen. Ich habe es nur halb gehöret. Seine Sachen nur halb verrichten. Es
ist weder halb noch ganz, d. i. sehr unvollkommen. Er ist nur ein halber Mann,
ein halber Gelehrter u. s. f. Halb und halb, im gemeinen Leben, für
mittelmäßig, ein wenig, unvollständig. Ich habe es nur so halb und halb gehört.
Hast du der Sache nachgedacht, die ich dir vorhin so halb und halb vorschlug?
Less. Er gefällt mir halb und halb. 3) In andern Fällen gebraucht man dieses
Wort, ein Ding von kleinerer oder geringerer Art anzudeuten, als ein andres von
gleicher Art ist. Eine halbe Karthaune, im Gegensatze einer ganzen.
S. auch die Zusammensetzungen Halbbier, Halbvogel u. s.
f. Anm. Halb, bey dem Ulphilas und Ottfried schon halb, im Nieders. half,
im Angels. healf, im Engl. und Schwed. gleichfalls half, im Dän. halv, im
Wendischen pol, ist in dieser Bedeutung eine Figur von dem vorigen Worte halb
und von halbe, so fern es die Seite eines Dinges bezeichnet.
S. Halbe und Hälfte. Man kann dieses Wort fast mit allen
Haupt- und Beywörtern zusammen setzen, eine oder mehrere der jetzt gedachten
Bedeutungen auszudrucken; wovon folgende etwa die bekanntesten seyn möchten.
Mit Neben- und Beywörtern wird es oft, aber eben so irrig zusammen gezogen, als
wenn man ganz mit ihnen zusammen ziehen wollte. Man schreibt daher lieber halb
barbarisch, halb erhaben, halb tief u. s. f. als halbbarbarisch, halberhaben,
halbtief. Einige wenige ausgenommen, wo andere Gründe die Zusammenziehung
erfordern, als halbbürtig, halbjährig, halbfuderig u. s. f.
S. die Sprachlehre. [
911-912]