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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

Gerathen | | Das Gerathewohl

Gerathen

Gerathen, [575-576] verb. irreg. neutr. welches das Hülfswort seyn erfordert. Präs. ich gerathe, du geräthst, er geräth; Imperf. ich gerieth; Mittelw. gerathen; Imperat. gerathe. Es ist das mit der Vorsylbe ge verlängerte Zeitwort rathen, welches in seiner weitläuftigsten und vielleicht ältesten Bedeutung eine Bewegung nach einer gewissen Richtung bezeichnet hat, hier aber nur noch in folgenden eingeschränkten Fällen üblich ist. 1. Für kommen, an einem Orte gegenwärtig werden, doch nur so fern solches von ungefähr und ohne Vorsatz geschiehet, mit ausdrücklicher Meldung des Ortes. 1) Eigentlich. Daß du nicht gerathest auf den Weg der Bösen, noch unter die verkehrten Schwätzer, Sprichw. 2, 12. Unter die Mörder gerathen. Laß mich nicht unter die Lästerer gerathen, Sir. 23, 1. Er ist böse Hände, in böse Gesellschaft gerathen. Auf einen falschen Weg gerathen. Oft auch mit allerley Nebenbegriffen. Einem andern über sein Geld gerathen, ihm etwas davon zu entwenden. Wie ist er denn an sie gerathen? mit ihr in Gemeinschaft, in Bekanntschaft gekommen. Daß dein Herz nicht an sie gerathe, Sir. 9, 13. An einander gerathen, handgemein werden. Ehedem wurde es für kommen in dessen eigentlichen Bedeutung gebraucht, in welchem Verstande auch das Schwed. rada üblich war, und es zum Theil noch ist. Ihre führt davon folgende Stelle aus der romanhaften Geschichte Alexanders an: I Darii land mon han tha rada, da kam er in Darii Land. Ja auch in der Deutschen Bibel kommen Spuren davon vor, wenn Richt. 14, 6, 9. Kap. 15, 24; 1 Sam. 10, 6, 10. und an andern Orten gesagt wird, der Geist des Herrn sey über Simson, über Saul gerathen, wo keine Unvorsetzlichkeit, kein Ungefähr angenommen werden kann. 2) Figürlich. (a) Auf eine Meinung gerathen, dieselbe gleichsam von ungefähr annehmen. Auf einen Einfall, auf einen Gedanken gerathen, denselben bekommen. Auf einen Irrthum gerathen. Wie bist du darauf gerathen? wie ist dir das eingefallen? Auf einen Discurs gerathen, unvermerkt darauf kommen. (b) Einen Zustand, eine Veränderung des Zufälligen überkommen, immer noch mit dem Nebenbegriffe des Unvorsetzlichen, des Unvermerkten. In einen Streit gerathen. Die Sache ist längst in Vergessenheit gerathen. Er gerieth darüber in eine außerordentliche Freude. In Verwirrung gerathen. Die Sache ist längst in das Stecken gerathen. In Zorn gerathen. Über das unschuldigste Wort geräth er so gleich in den Harnisch.
Vom grünen Esel hört man singen, Und so geräth das Kind in Schlaf, Gell.
Besonders von einem nachtheiligen, unangenehmen Zustande. Das Haus ist in Brand gerathen. In Armuth, in Gefahr, in Noth, in Elend, in Angst, in Verlegenheit, in das Verderben gerathen. In Schaden, in Schande, in Spott, in Schulden, in Unglück gerathen. Den Leuten in die Mäuler, oder in der Leute Mäuler gerathen, von ihnen beredet, verleumdet werden. In schwere Sünden gerathen, 3 Esr. 4, 27. Hierher gehört auch (c) der ehemahlige Gebrauch dieses Zeitwortes, da es wie das Griechische - hier nichtlateinischer Text, siehe Image - pleonastisch mit dem Infinitiv eines andern Zeitwortes gebraucht wurde, wovon in den Schriften der Schwäbischen Dichter noch häufige Beweise vorkommen. Die drei gerieten schrien, die drey schrien, oder fingen an zu schreyen. Er geriet hin zuo den phawen gan, ging zu dem Pfau. Wenn ir geraten singen, wenn ihr singet. Das ros geriet in schelten, schalt ihn. Die luit gerieten alle sagen, sagten. Sine kind ruemen er geriet, er rühmete seine Kinder. 2. Von den Folgen einer Handlung, besonders von nachtheiligen Folgen, so fern sie als unvorsetzlich, ungefähr betrachtet werden; da sie denn das Vorwort zu bekommen. Wo du ihren Göttern dienest, wird dirs zum Ärgerniß gerathen, 2 Mos. 22, 33. Ich will sie ihm geben, daß sie ihm zum Fall gerathe, 1 Sam. 18, 21. Es soll dir dieß nicht zur Missethat gerathen, als eine Missethat zugerechnet werden. Kap. 28, 10. Es gerathe zum Tode oder zum Leben, 2 Sam. 15, 21. Und das gerieth zur Sünde. 1 Kön. 12, 30. Sehet zu, daß diese eure Freyheit nicht gerathe zum Anstoß der Schwachen, 1 Cor. 8, 9. Das wird dir zum Verderben, zum Unglück gerathen. In dieser Bedeutung kommt es mit gereichen überein, ja es scheinet ursprünglich mit demselben einerley zu seyn. S. Rathen und Reichen. 3. In engerer Bedeutung; von dem Erfolge eines Dinges oder Werkes, so fern es mit der dabey gehabten Absicht überein stimmet oder nicht, und so fern viel dabey auf ein Ungefähr ankommt; oder doch so angesehen wird. Dem Bildhauer ist die Bildsäule, dem Mahler das Gemählde vortrefflich gerathen. [577-578] Das Gebräude ist dieß Mahl schlecht gerathen. Die Viehzucht ist dieß Jahr nicht gut gerathen. Der Wein, das Obst, das Getreide ist schlecht gerathen. Wohl gerathene Kinder, übel gerathene Kinder haben, die in der Erziehung wohl oder übel gerathen sind. Das Schwedische rada bedeutet auch active erziehen. Was er macht, das geräth wohl, Ps. 1, 3. In noch engerer Bedeutung wird es absolute sehr häufig für wohl oder gut gerathen gebraucht; im Gegensatze des Mißrathens. Einem Lässigen geräth sein Handel nicht, Sprichw. 12, 27. Du weißt nicht, ob dies oder das gerathen wird, Pred. 11, 6. Durch seine Klugheit wird ihm der Betrug gerathen, Dan. 8, 25. Gott lasse dein Fürnehmen gerathen, Judith 10, 9. Es gerathen nicht alle Anschläge. Der Wein, das Getreide, das Obst sind gerathen. Gerathene Kinder, im Gegensatze der ungerathenen.
Wenn unter hohen jubelvollen Zungen Ein süßer Ton auch mir gerieth, Raml.
Anm. In allen diesen Fällen liegt der Begriff der Bewegung, besonders der unvorsetzlichen Bewegung, nach einer gewissen Richtung zum Grunde. S. Rathen, Reichen, Gerade, Reiten, Reisen u. s. f. welche insgesammt zu der Familie dieses Wortes gehören. Im Oberdeutschen verbindet man es häufig mit dem Hülfsworte haben, wenigstens in der zweyten und dritten Bedeutung. Die Arbeit hat mir gerathen. Außer den hier bemerkten Arten des Gebrauches kommt es im Oberdeutschen noch in einer doppelter Bedeutung vor. 1) Für entrathen. Dein aber kann man geraten, Hans Sachs. 2) Für rathen, Rath geben, consulere, wovon bey den Schwäbischen Dichtern häufige Beweise befindlich sind. [577-578]
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