2. Fehlen
2. Fehlen,
[
73-74] verb. reg. neutr. welches das
Hülfswort haben erfordert, und in zwey Hauptbedeutungen üblich ist. I. Aus
Mangel der Erkenntniß oder aus Übereilung nicht so handeln, wie man wollte,
oder wie man sollte. 1. Das vorgesetzte Ziel aus einem Versehen nicht
erreichen; im Gegensatze der Treffens. So fehlet der Jäger, wenn er dasjenige
nicht trifft, wornach er zielet. Sie konnten mit der Schleuder ein Haar
treffen, daß sie nicht fehlten Richt. 20, 16. Er schlug nach mir, aber zum
Glück fehlete er. Soll die Art und Weise näher bestimmt werden, so gebraucht
man dazu das Nebenwort fehl mit den Zeitwörtern, gehen, bauen, schlagen,
schießen u. s. f. nachdem die Sache es erfordert. Wird das Ziel, welches man
wider seine Absicht nicht getroffen hat, zugleich mit ausgedruckt, so stehet
es, wenn es ein Hauptwort ist, am häufigsten in der zweyten Endung. Wir haben
des rechten Weges gefehlet, Weish. 5, 6. Sie fehlen ihres Weges selten Gell.
Das Recht, so ihn strafen soll, wird sein nicht fehlen, Weish. 1, 8. Selten in
der vierten. Doch fehle nicht den Weg, Gottsch. Warum mußte seine Regel mich
fehlen? Am sichersten und häufigsten gebraucht man im Hochdeutschen in diesem
Falle das zusammen gesetzte verfehlen. 2. Figürlich, einen Fehler begehen, aus
Mangel der Erkenntniß oder aus Übereilung nicht nach der Regel handeln. 1)
Nicht nach der Regel der Kunst und der Wissenschaft. In der Aussprache, in der
Wortführung fehlen. Der Mahler fehlt durch falsche Striche u. s. f. 2) Nicht
nach der Regel der Wahrheit, irren, die Wahrheit verfehlen. Er hat nur um fünf
Jahre gefehlet. Denn die Priester können nicht irren im Gesetz, und die Weisen
können nicht fehlen mit Rathen, Jer, 18, 18. Sein Mund fehlet nicht im Gericht,
Sprichw. 16, 10. Im Muthmaßen fehlet man leicht. 3) Nicht nach der Regel der
Klugheit, und der Sitten. Ich habe gefehlt, ich bekenne es. Du hast dieß Mahl
in der Höflichkeit gefehlet. Große Leute fehlen auch. Ich will lieber durch den
Überfluß der Freundschaft fehlen als durch den Mangel, Gell. 3. Fehl schlagen,
wider die Erwartung erfolgen, mißlingen. Ich glaubte, es könnte mir nicht
fehlen. Dein Anschlag wird dir gewiß fehlen. 4. Nicht antreffen, nur im
Infinitive mit zu. Er ist in der Kirche nie zu fehlen, er ist beständig in der
Kirche anzutreffen.
Das im all sein anschleg Wollten fehlen in alle weg, Theuerd.
Kap. 63. Den Bösen fehlet ihr Begehren Wenn sie sich noch so sehr befleißen,
Opitz Ps. 112.
Gott lässets fehlen den Vesten, Hiob 12, 19. Umsonst, der
Anschlag fehlt, Rost. Und da die That gefehlt, hieß sie den Willen gut, ebend.
II. Abwesend seyn, von Dingen, die der Regel, der Bestimmung, der Erwartung,
oder auch nur dem Begriffe des Subjectes nach anwesend seyn sollten oder
könnten. 1. Eigentlich. Wie viel Gäste fehlen noch? Es fehlt niemand mehr von
den Gästen. Es fehlen noch sechzehn Groschen an zehen Thalern. Diese zehen
Thaler fehlen mir noch an der Summe. Dem Garten fehlet noch vieles. Das fehlte
noch zu meinem Unglücke, mein Unglück vollkommen zu machen. Dieser Verdacht
fehlte noch, meinen Kummer vollkommen zu machen, Less. Ingleichen unpersönlich.
Es fehlt ihm Glück und Geld; wo man aber richtiger das Vorwort an braucht. Es
wird dir nie an guten Freunden fehlen. An Entschuldigungen hat es ihm noch nie
gefehlet. Es fehlet nur an mir, ich, meine Bemühung fehlet noch. An mir soll es
nicht fehlen, ich werde von meiner Seite nichts unterlassen. Ich weiß wohl,
woran es fehlet. Es soll gewiß an meinem Gehorsam nicht fehlen, Gell. Es fehlte
ihr noch an ein Paar Blumen zum Kranze, Weiße. 2. Figürlich. 1) Entfernet seyn;
unpersönlich und in verschiedenen adverbischen Arten des Ausdruckes, nach dem
Muster des Latein. parum, tantum abest. Wenn er meint, er habs vollendet, so
fehlet es noch weit, Sir. 18, 6; wo aber die Stellung dieser R. A. in den
Nachsatz ungewöhnlich ist. Es fehlet nicht viel, du überredest mich, daß ich
ein Christ werde, Apostelgesch. 26, 28. Es fehlte nicht viel, so wäre er
gefallen; oder, es hat wenig gefehlt, daß er gefallen wäre. Es fehlet nicht
weit, sie werden mich steinigen, 2 Mos. 17, 4; richtiger, daß sie mich
steinigen, oder so steinigen sie mich. So auch mit der im gemeinen Leben
üblichen elliptischen Art des Ausdruckes weit gefehlt. Weit gefehlt, daß er
mich loben sollte, schmähet er mich vielmehr; anstatt mich zu loben u. s. f.
Doch weit gefehlt, daß auch nur einer zagte, So u. s. f. Gell.
2) Eine Unvollkommenheit empfinden, so wohl am Leibe als am
Gemüthe. Sie sehen so krank aus, was fehlet ihnen? Er ist
[
75-76] selten gesund, immer fehlet ihm etwas,
nehmlich an seiner Gesundheit. Was fehlet dir am Auge? Was hast du für einen
Schaden am Auge? Was fehlet ihnen? fragt man auch einen Niedergeschlagenen,
Traurigen und Zornigen. Ich kann es errathen, was ihm fehlt, oder wo es ihm
fehlt. Anm. 1. Das Hauptwort die Fehlung ist nicht gebräuchlich. Die biblische
Wortfügung mit der zweyten Endung, du zertrittest alle die deiner Rechte
fehlen, Ps. 119, 118, der wahren Liebe haben etliche gefehlet, 1 Tim. 1, 6, und
fehlen des Glaubens, Kap. 6, 21, der Wahrheit, 2. Tim. 2, 18, für ermangeln,
ist im Hochdeutschen ungewöhnlich, eben so wie der Gebrauch Weish. 2, 9, unser
keiner lasse ihm fehlen mir Prangen, lasse es am Prangen fehlen. Anm. 2. Dieses
Zeitwort lautet im Nieders. feilen, im Holl. feylen, im Dän. feile, im Engl. to
fail, im Franz. faillir, im Schwed. fela, im Ital. fallare, im mittlern Lat.
fallire, fallere, fellere, falescere. Das Lat. falli, und die Deutschen Wörter
fallen und falsch, sind genau damit verwandt. Indessen ist es doch sonderbar,
daß dieses Wort so wie fehl, Fehl, Fehler u. s. f. bey den ältesten
Oberdeutschen Schriftstellern, so viel ich wenigstens weiß, niemahls vorkommt.
Da die zweyte Hauptbedeutung der Abwesenheit, sich nicht füglich als eine Figur
der ersten ansehen lassen will: so sind einige, besonders nordische
Wortforscher, darauf gefallen, fehlen in dieser Bedeutung als ein von dem
vorigen ganz verschiedenes Zeitwort anzusehen, welches von dem alten feh,
wenig, Franz. peu, Engl. few bey dem Ulphillas fawai, bey dem Kero fohe, im
Angels. fea, abstamme. Siehe Feige adject. Anm. Doch die Sache ist noch zu
dunkel, als daß man sie für etwas weiter als Muthmaßung sollte ausgeben können.
Rechnet man dieses Wort zu dem Geschlechte des alten fehlen, bedecken, (
S. Fell,) so werden sich vielleicht beyde Bedeutungen
auf eine ungezwungene Weise davon herleiten lassen.
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75-76]