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Adelung - Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

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Der, die, das

, der bestimmte Artikel, welcher in allen seinen Endungen unbetont ausgesprochen wird. Die Declination dieses Artikels ist folgende. Singul. Plur. Nomin. der, die, das. die. Gen. des, der, des. der. Dat. dem, der, dem. den. Accus. den, die, das. die. Um die eigentliche Beschaffenheit dieses Artikels desto besser kennen zu lernen, muß man bemerken, daß die Substantiva grammatisch betrachtet, auf eine dreyfache Art bestimmet werden. Man bezeichnet entweder nur das Geschlecht oder die Art, oder man bezeichnet ein oder mehrere Individua dieser Art, oder man bestimmet dieses Individuum noch genauer nach gewissen Verhältnissen desselben. Im ersten Falle bekommt das Substantiv im Deutschen entweder gar keinen Artikel, oder in einigen Fällen den Artikel ein; im zweyten Falle bekommt es den bestimmten Artikel der, und die dritte Art der Bestimmung geschiehet unter andern auch durch die Pronomina und die ihnen ähnlichen Adjectiva. Ich höre Musik, oder ich höre eine Musik, zeiget nur überhaupt an, daß man diejenige Harmonie von Tönen höre, welche man Musik nennet; ich höre die Musik, bestimmet sie schon genauer, als ein gewisses Individuum, welches man erwartet, oder von welchem man vorher gesprochen hatte; ich höre die Musik, welches uns zugedacht ist, ich höre unsere Musik u. s. f. bestimmt das Verhältniß dieses Individui noch genauer.Wenn man die Sache genau nehmen will, so sind die zweyte und dritte Art dieser Bestimmungen so ziemlich von einerley Art, und der ganze Unterschied bestehet nur in der geringern oder größern Vollständigkeit des Ausdruckes. Die Fälle, wo der Artikel der vorkommt, enthalten gemeiniglich eine Ellipse, und löset man diese auf, so wird sich der Artikel in ein wahres Pronomen verwandeln. Daher kommt es auch, daß im Oberdeutschen der Artikel der von dem Pronomen der in der Declination nicht verschieden ist, indem beyde wirklich nur ein und eben dasselbe Wort sind.Freylich wird sich dasjenige, was jetzt von dem eigentlichen Amte des Artikels gesagt worden, nicht auf alle Fälle anwendenlassen. Allein man muß bedenken, daß der Unterschied unter diesen Arten der Bestimmung oft sehr fein ist, und daß die Sprachen ein Werk des großen Haufens sind, dessen Gefühl nur in Ansehung der am meisten hervorstechenden Fällen richtig ist, in andern unmerklichern aber sich nicht selten verirret. Über dieß gibt es Fälle, wo es wirklich gleichgültig ist, ob man den Artikel setzet oder nicht, d. i. ob man die Sache als ein Individuum oder nur überhaupt in Ansehung der allgemeinen Art betrachtet. Ich liebe Schönheit, bedeutet, daß man diejenige Vollkommenheit liebe, welche man Schönheit nennet, man möge sie antreffen, wo man wolle. Ich liebe die Schönheit; sagt eben das, betrachtet aber dabey diese ganze Vollkommenheit als ein Concretum. Daher kommt es, daß auch die Abstracta den Artikel der bekommen können, so fern sie nehmlich als Concreta betrachtet werden. In andern Fällen hingegen macht die Gegenwart oder die Abwesenheit des Artikels auch eine merkliche Änderung in der Bedeutung. Z. B. Er verstehet Scherz, bedeutet, er ist fähig, einen Scherz als Scherz ertragen zu können; aber, er verstehet den Scherz, beziehet sich entweder auf einen gewissen vorher gegangenen bestimmten Scherz, oder auch auf die Kunst zu scherzen.Vermittelst dieser leichten Regel, wird man sich ohne Schwierigkeit in diejenigen Fälle finden lernen, in welchen der bestimmte Artikel gebraucht werden muß. Ich verweise in Ansehung derselben auf meine Sprachlehre und das Lehrgebäude derselben, und will hier nur das vornehmste davon in ein Paar Anmerkungen zusammen fassen.1. Der Artikel bestimmt die Individua, ohne ihnen eben die genaueste mögliche Bestimmung zu geben, denn dieses thun unter andern die Pronomina. Hieraus folgt nun, daß der Artikel der nicht gesetzet werden dürfe, wenn eine Sache nicht als ein Individuum bestimmt werden soll. Sie hat Erziehung. Aus Liebe krank seyn. Über Feld gehen. Eine Kugel von Bley.
Von Puder glänzt sein lockig Haar, Weiße.
Diese Art Menschen, Thiere. Eine Menge Vögel. Ein großer Haufen Sand. Ohne Regel und Ordnung schreiben. Unschuldiges Blut vergießen. Das sind Schriften von Wichtigkeit. Er kommt von Reisen. Aus Menschenliebe, ohne Stolz und Bitterkeit. Zu Bette gehen, sich schlafen legen, ohne nähere Bestimmung des Bettes. Bey Tische sitzen, speisen, ohne daß man eben Willens wäre, den Tisch, an welchem solches geschiehet, als ein besonderes Individuum darzustellen u. s. f. brauchen insgesammt keinen Artikel, weil hier nur eine weitläuftige Bestimmung der Art, nicht aber des Individui Statt findet. Dahin gehöret auch eine Menge adverbischer Redensarten, die der Regel nach den Artikel gar wohl vertragen könnten, ihn aber wegwerfen, weil sie als Adverbia die Gestalt eines Individui verlieren.Beyläufig kann man noch anmerken, daß, wenn in solchen adverbischen Redensarten das Substantiv mit einer Präposition in der dritten Endung ohne Artikel stehet, diese Endung im Singular zugleich ihr e wegwirft, es müßte denn seyn, daß sie solches schon im Nominative hergebracht hätte. Eine Kugel von Bley, mit Fleisch bekleidet, es gehet ihm nach. Wunsch, mit Fleiß, ein Mann von Verdienst, mit Hohn u. s. f. nicht von Bleye, mit Fleische u. s. f. Eine Ausnahme machen diejenige Wörter, welche sich auf b, d, s endigen, welche weiche Mitlauter der Regel nach am Ende hart ausgesprochen werden, daher sie dieses e behalten, um die Aussprache nicht zu verändern. Außer Stande seyn; er thut mir viel zu Leide, mit Sande besprengen, bey Leibe nicht, mit Schimpf und Schande bestehen; zu Hause seyn, von Hause kommen, nach Hause gehen u. s. f. Diesen folgen auch einige andere Wörter, wo [1453-1454] diese Ursache nicht Statt findet; z. B. bey Tische seyn, zu Tische sitzen, nach Tische, das Seinige zu Rathe halten u. s. f. Dagegen wird in andern das e wider die Regel verschlungen, mit Weib und Kind, welche R. A. ein Überbleibsel der härtern Oberdeutschen Mundart ist.2. Wörter, welche an und für sich schon Individua bedeuten, können wieder als solche den Artikel entbehren, noch auch im Singular ohne denselben zur Bezeichnung des ganzen Geschlechtes oder eines unbestimmten Theiles desselben gebraucht werden. Mensch, Zunge und Blume sind Ausdrücke, welche Individua bedeuten, und als solche verlangen sie den Artikel der. Ohne Artikel können sie im Singular nicht zur Bezeichnung ihres Geschlechtes gebraucht werden; man kann daher nicht sagen: Zunge ist ein kleines Glied, Mensch ist wie Blume. Sollen sie zu ihrem ganzen Geschlechte erhöhet werden, so müssen ihnen die Artikel der oder ein vorgesetzet werden. Vermittelst des erstern wird das ganze Geschlecht als ein Individuum betrachtet; vermittelst des letztern aber wird Ein Individuum aus der ganzen Menge heraus gehoben und zum Repräsentanten des Ganzen gemacht. Man sagt also ganz richtig, die Zunge ist ein kleines Glied, oder eine Zunge ist ein kleines Glied; der Mensch ist wie die Blume, oder ein Mensch ist wie eine Blume. Im Plural hingegen kann der Artikel ohne Anstoß wegbleiben, weil mehrere Dinge Einer Art schon aufhören, Ein Individuum zu seyn. Zungen und kleine Glieder. Menschen sind wie Blumen. Sey stark genug über Gräber hinaus zu sehen, Dusch. Die adverbischen Redensarten, mit Hand und Mund, mit Haut und Haar, Haus und Hof verkaufen, zu Fuße reisen, zu Schiffe kommen u. s. f. gehören nicht hierher, weil die Substantiva in denselben weder als eigentliche Individua, noch für das ganze Geschlecht stehen, sondern die ganze R. A. figürlich ist.Diese Anmerkung ist wichtig, weil sie zur richtigen Beurtheilung mancher vorgegebenen Schönheiten bey ältern und neuern Dichtern dienet.
Man hat den Feind aufs Haupt geschlagen, Doch Fuß hat Haupt hinweg getragen, Logau.
Hier sind zwey Individua, die ihren bestimmten Artikel ohne eine merkliche Härte nicht verlieren können. Unter den ältern Dichtern läßt Logau, und unter den neuern Herr Gleim in seinen Kriegsliedern den Artikel der sehr oft weg; allein um der jetzt angezeigten Ursache willen thut diese Weglassung auch oft eine unangenehme Wirkung.Eben dieß gilt auch in solchen Fällen, wo das Substantiv mit einem Adjective verbunden ist, welches dasselbe zu einem Individuo macht, wo der Artikel gleichfalls nicht weggelassen werden kann, es mag nun das Individuum ein Individuum bleiben, oder zur Bedeutung des Geschlechtes erhöhet werden. Alten Freund für neuen wandeln, Logau. Der Morgen brachte großen Tag, Gleim. Dahin gehören aber nicht die Fälle, wo der Artikel an das Vor- oder Nebenwort angehänget wird, im härtesten Winter, im besten Wohl.
Als ich urplötzlich einen Drachen Aus blauer Tiefe steigen sah, Raml.
Die besten Schriftsteller alter und neuer Zeit. Wo der Artikel, obgleich in einer andern Gestalt, wirklich vorhanden ist.Freylich gibt es auch hier Fälle, wo die Individua ihren Artikel wegwerfen können. Denn außer den vorhin gedachten adverbischen Redensarten, gehören dahin viele sprichwörtliche Ausdrücke, die aber nur in die niedrigen Sprecharten gehören, ingleichen solche Fälle, wo die Individua gehäuft werden. Mann, Weib, Knecht, Magd, alles im ganzen Hause ist krank.Hingegen können und müssen alle diejenigen Substantive, welche keine eigentlichen Individua bezeichnen, sondern Abstracta sind, den Artikel entbehren, so oft sie nicht als Individua angesehen werden. Ich thue es aus Liebe. Haß und Eifersucht quälen ihn. Schönheit ist vergänglich. Er hat Verstand. Leide mit Geduld.3. Wenn ein Individuum schon genauer bestimmt ist, als es durch den Artikel geschehen kann, so wird dieser überflüssig. Folglich findet derselbe von den eigenthümlichen Nahmen eigentlich keine Statt; ob es gleich auch hier nicht an Ausnahmen fehlet, die man in der Sprachlehre finden kann. Auch Appellativa werfen denselben weg, wenn sie durch andere Wörter, wohin besonders die Pronomina gehören, genauer bestimmt sind, als durch den Artikel geschehen kann. Unsere Güter. Mein und dein Vermögen. Alle Einwohner. Keine Seele. Viele Menschen. Wenig Häuser. Sechs Bürger.4. Ein anderer wichtiger Umstand ist die Zusammenziehung des bestimmten Artikels mit Präpositionen. S. Am, Auf und die übrigen Präpositionen, ingleichen Ein.Aus dem, was bisher gesaget worden, erhellet zugleich, wie unbillig es ist, wenn man den Artikel im Deutschen das Geschlechtswort nennet, als wenn die Bezeichnung des grammatischen Geschlechtes der Substantive seine eigentliche Beschäftigung wäre, da doch solches nur eine zufällige Verrichtung ist, eben so zufällig, als an den Adjectiven, wenn sie mit ihrem Substantive in einerley Geschlechte stehen. Eher könnte man noch auf die Gedanken gerathen, daß der Artikel in manchen Fällen bloß zur Bezeichnung des Casus des Substantives diene, weil diejenigen Wörter, die ihn in dem Nominative entbehren können, ihn in den Casibus obliquis haben müssen. So erfordern ihn in den jetzt gedachten Casibus die eigenthümlichen Nahmen, wenn sie am Ende nicht decliniret werden. Die Weisheit des Salomo. Die Tugend des David. Die Grausamkeit des Nero. Ingleichen die Appellativa. Die Vergänglichkeit der Schönheit, ob man gleich sagen kann, Schönheit ist vergänglich; befleißige dich der Tugend, ob man gleich sagt, Tugend währet am längsten. Aber man siehet leicht, daß diese Casus eine genauere Bestimmung des Individui und seiner Verhältnisse mit sich führen, die den bestimmten Artikel nothwendig machen. Nur alsdann kann derselbe wegbleiben, wenn der Genitiv voran gesetzet wird, in welchem Falle aber auch der eigenthümliche Nahme auf eine oder die andere Art decliniret werden muß. Salomonis Weisheit. Davids Tugend. Neros Grausamkeit. Der Tugend Lohn, für der Lohn der Tugend. Der Schönheit Vergänglichkeit. Das ist ohne Zweifel noch ein Überbleibsel einer alten noch in der Schwedischen Sprache üblichen Gewohnheit, da man den bestimmten Artikel, so oft er bey seinem Hauptworte stehet, an dasselbe anhänget. Z. B. im Schwedischen ist Ande Geist, der Geist heißt Anden; Gud ist Gott, Guden der Gott; Hjerta Herz, das Herz, Hjertat. Im Deutschen geschiehet solches bey den Adjectiven noch auf eine merkliche Art. In bestem Wohl, für in dem besten Wohl. Aus blauer Tiefe, aus der blauen Tiefe. Folgendes Tages, des folgenden Tages.Anm. In der Fränkischen und Alemannischen Mundart lautet dieser Artikel ther, thiu, thaz, bey dem Isidor dher, dhiu, dhatz, im Nieders. im Mascul. und Fämin. de, im Neutro dak. Er ist ein Erbtheil der ältesten bekannten Sprachen, und findet sich schon in dem Hebräischen, nur daß diese und andere alte Sprachen sparsamer damit umgingen, und ihn nicht als einen Artikel, sondern nur als ein Pronomen gebrauchten. S. das folgende in der Anmerkung. Die meisten nördlichen und westlichen Mundarten gaben diesem Worte eine weitere Ausdehnung als die Mor- [1455-1456] gen ländern, und gebrauchten es überall da, wo ein Individuum angezeiget werden sollte, d. i. in der Gestalt eines Artikels; ob sie gleich bey dem rauhen und unbearbeiteten Zustande ihrer Denkungskräfte in der Anwendung freylich sehr oft fehlen mußten. Bey den ältesten Franken und Alemannen war in der Declination des Artikels und der folgenden Pronominum kein Unterschied. Der Artikel gehet bey dem Ottfried so: Singul. Plur. Nom. ther, thia, (thio, thiu,) thaz. thie, thiu Gen. thes, thera, thes. thero. Dat. themo, thera, themo. then. Acc. then, thia, thaz. thie. Abl. fon themo, theru, themo fon then. Eben so gehet bey ihm und andern auch das Pronomen, es mag nun Demonstrativum oder Relativum seyn, und noch die heutigen Oberdeutschen decliniren den Artikel so, wie das folgende Pronomen, nur mit dem Unterschiede, daß sie selbigen im Genit. und Dat. Plur. verlängern, derer, denen. Es scheinet, daß die Hochdeutschen die verkürzte Declination des Artikels von den Niedersachsen beybehalten haben; aber bey diesen ist auch das Pronomen de einsylbig, und dem Artikel in der Declination gleich. Von dem Genit. Plural. ist noch unser Dero ein Überbleibsel; Siehe dieses Wort. Die gemeinen Mundarten pflegen von dem Neutro das die beyden ersten Buchstaben gern zu verbeißen, 's Fleisch, 's Gut, welches auch die Niedersachsen und Holländer mit ihrem dat thun, 't Huus, 't Huys. Da diese Unart vermuthlich schon alt ist, so ist glaublich, daß, als man angefangen, das Deutsche zu schreiben, dieses s aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit vielen Wörtern angehänget worden, mit denen es nun unzertrennlich verbunden ist. Siehe S.2. [1457-1458]
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