Bestehen
, verb. irreg. (
S. Stehen,) welches in doppelter Gattung üblich
ist.I. Als ein Neutrum, und zwar,A. Mit dem Hülfsworte seyn, da es denn
überhaupt stehen bleiben bedeutet, so daß das be, die Bedeutung
bloß verstärker.1. Eigentlich.1) Für das einfache stehen; welche
Bedeutung doch im Hochdeutschen selten mehr vorkommt, und nur noch in den
gemeinen Sprecharten üblich ist. Der Tisch soll hier nicht bestehen
(stehen) bleiben. In einer Rede bestehen bleiben, nicht weiter fortreden
können, den Zusammenhang vergessen haben.2) Stehen bleiben, besonders von
flüssigen Körpern, wenn sie ihre Flüssigkeit verlieren;
gestehen. So bestehet das Wasser wenn es gefrieret, Milch, Blut, wenn es
gerinnet, fette Sachen, wenn sie erkalten.
Der Flüsse Sand besteht, der Schiffer fleucht die See,
Opitz.
Ingleichen, aufhören zu fließen, stehen bleiben.
Alsbald bestund ihr der Blutgang, Luc. 8, 44.
Die Glieder sinken hin, das Blut bestehet mir, Opitz. Wies
Erythräer Meer bestand als eine Wand, ebend.
3) Zur Genüge stehen. In dieser Bedeutung heißt im
Forstwesen ein bestandenes Holz, welches so lange ruhig gestanden hat, daß
es mit vielen Haupt- und angehenden Bäumen bewachsen konnte.2.
Figürlich, mit verschiedenen Nebenbegriffen.1) Heftige Eindrücke von
außen aushalten. Und die Bogenschützen sollen nicht bestehen, Amos 2,
15. Wer kann wider die Kinder Enack bestehen? 5. Mos. 2, 15. Wer kann vor dir
bestehen, wenn du zürnest? Ps. 76, 8. Ingleichen nach angestellter
Prüfung, Untersuchung, erfunden werden. Er ist in dem Eramine wohl, gut,
übel, schlecht bestanden. In der Probe bestehen, bewährt erfunden
werden. Mit dieser Rechnung wirst du nicht bestehen. Mit Lügen bestehen,
lügenhaft erfunden werden. So auch mit Schanden, mit Ehren bestehen, im
gemeinem Leben, so erfunden werden, daß man Schande oder Ehre davon hat.
Du wirst mit dieser Entschuldigung sehr kahl bestehen, gleichfalls im gemeinem
Leben. Dahin auch der niedrige Ausdruck; er besteht wie Butter an der Sonne,
welcher zugleich eine Anspielung auf die erste eigentliche Bedeutung
enthält. Der biblische Gebrauch: in dem Munde zweyer oder dreyer Zeugen
soll die Sache bestehen, 5. Mos. 19, 15, sie soll durch zwey oder drey Zeugen
bestätiget werden, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich.2) Dauerhaft
bleiben, sein Wesen, sein Daseyn behalten. Sein Reich kann nicht bestehen. Kann
wohl ein Freygeist ohne Gesetze bestehen? Mit ihm besteht und fällt die
ganze Sache. Eine solche Freundschaft kann unmöglich bestehen. Der Staat
besteht nicht anders, als durch das Bündniß der Glieder, Dusch. Wenn
die Tugend bestehen soll, so muß sie in aller ihrer Strenge bestehen,
ebend. Im gemeinem Leben auch von dem bürgerlichen Wohlstande. Er kann bey
dem hohen Pachte nicht bestehen. Der Mann kann bey seiner Verschwendung
unmöglich bestehen, nicht im Wohlstande bleiben, er muß zu Grunde
gehen.
S. Bestand und Beständig. [
927-928] 3) Beharren, von dem Beharren in einer Entschließung, einer
Meinung u. s. f. mit de Vorworte auf. Auf seinem Kopfe bestehen, im gemeinen
Leben, in seinem Eigensinne beharren. Auf seiner Meinung bestehen. Sie bestehet
darauf, ich soll heute wieder nach Hause. Ingleichen, auf etwas bringen, eine
Sache mehrmals verlangen, als wichtig vorstellen, mehrmals behaupten, u. s. f.
Wie oft bin ich nicht darauf bestanden, daß du zu ihm geben möchtest?
Sie bestand darauf, es verhielte sich so.
S. Beständig.4) Vorhanden seyn, da seyn. Besteht
ihr Verdacht noch? Der Tempel zu Delphis, der zu Plinii Zeiten noch bestand.
Er ist es; sein Gerichte geht,So weit der Erdenskreis besteht,
Opitz Ps. 105Zu meiner Zeit Bestand noch Recht und Billigkeit, Haged.
Opitz nennet ein Mahl Dinge, die kein eigenes Daseyn haben,
unbestehende Dinge:
Auch vielen hat beliebt aus unbestehenden Sachen Lieb', Ehre,
Tugend, Glück und Fieber Gott zu machen.
Auf ähnliche Art nennen die neuern Philosophen seit
Wolfs Zeiten. Die Substanz, oder ein Ding, welches die Quelle seiner
Veränderungen in sich selbst hat, ein für sich bestehendes Ding.
B. Mit dem Hülfsworte haben.
1) Aus Dingen als aus Theilen zusammen gesetzet seyn, mit dem
Vorworte aus. Das Buch bestehet aus sechs Theilen. Das Gesetz bestehet aus
zweyen Tafeln. Der Mensch besteht aus Leib und Seele. Die Rede bestand aus den
ausgefurchtesten Bildern. Die Predigt hat aus vier Theilen bestanden.2) Sein
Wesen in etwas haben, mit dem Vorworte in. Die christliche Vollkommenheit
bestehet in der Liebe. Sein ganzes Vermögen hat in Häusern und Zinsen
bestanden. Das Unglück bestehet nicht so sehr in der Empfindung des
Übels, als in dem Mißbrauche der Freuden, Dusch. Die
Glückseligkeit der Seele bestehet in der Thätigkeit, ebend.II. Als
ein Activum.1. Für pachten, miethen, am häufigsten im Oberdeutschen.
Ein Haus bestehen, miethen. Ein Gut, eine Mühle, einen Garten bestehen,
pachten.
S. auch Bestand.2. * Als einen Gehalt aussetzen; nur in
einigen Gegenden. Einem monathlich 100 Thlr. bestehen.3. * Widerstehen,
überstehen.
Sie wissen allen Fall des Lebens zu bestehen, Opitz. Wie wir
der Seelen Feind bestehen nach Gebühr, ebend. Ist allzeit
ausgerüstet Die Widerwärtigkeit mit Ehren zu bestehen, ebend. Ich hab-
groß geferlichait bestanden, Theuerd. Kap. 98. Wie nennet die Probe sich,
die ich bestehen soll? Weil.
4. * Angreifen. Einen bestehen, einen mit Streite bestehen.
Daß mich die Maselsucht (der Aussatz) bestehe, die Naemann verließ,
und Jezi ankam, heißt es noch in dem Judeneide.
Ich will die Sau kecklich bestan, Theuerd. Kap. 19. Nu het mich
ein gros unheil Also minneklich bestanden, Markgr. Otto v. Braudb.
Ingleichen in weiterer Bedeutung. Es bestand ihn die
Regiersucht, sieh kam ihn an.5. * Überwinden. Das ihren Feind besteht,
In einer solchen Schlacht, Opitz. Du Wein bist stark genug, den
Türken zu bestehen, ebend. Ich wis bi mir wol das ein zageUnsanfte ein
sinnig wib bestat, Reinmar der Alte. Do liebe kom und mich bestuont, ebend.
6. * Unternehmen. Ein Abenteuer bestehen, Wiel.
Mit dem wolt er ein Kampf bestan, Theuerd. Kap. 77. Wenn ich
ewrs geleichen werUnnd un solchem grossen gelück, So wolt ich bestab ein
truglich stück, ebend. Kap. 85.
Anm. Diese vier letzten Bedeutungen, welche in der Schriften
der vorigen Jahrhunderte häufig vorkommen, sind im Hochdeutschen
längst veraltet gewesen, bis sie von einigen unserer neuern Schriftsteller
wieder in die komische Schreibart eingeführet worden, welcher sie auch
völlig angemessen sind, weil sie die ehemahlige Gewohnheit der irrenden
Ritterschaft, Abenteuer zu bestehen, in das Andenken bringen. Das Nieders.
bestaan bedeutet auch noch, theils anfangen, theils eingestehen, gestehen,
theils aber auch verwandt seyn; einem im Blute bestehen. Das Schwedische besta,
hat mit dem Hochdeutschen die meisten Bedeutungen gemein, bedeutet über
dieß aber auch noch bewilligen, zugestehen. [
929-930]