Bar
, ein nur noch in Zusammensetzung übliches Wort, welches
verschiedenen Nenn- und Zeitwörtern angehänget wird, und alsdann Bey-
und Nebenwörter aus ihnen macht. Es bezeichnet aber,1. Einen Mangel
dessen, mit welchem es verbunden ist, wie - los. Dahin gehören die
veralteten mundbar, was keinen Mund oder Vogt hat, leutbar, von Leuten
entblößet, volkesbar, ohne Volk, gutesbar, ohne Geld und Gut u. s. f.
Diese Ableitungssylbe war bey den Dichtern der mittlern Zeiten sehr
gewöhnlich; allein man hat sie mit allem Rechte veralten lassen, weil sie
mit den folgenden Bedeutungen eine sehr nachtheilige Zweydeutigkeit machte. Bar
ist hier das folgende bar, bloß, nackend, welches siehe.2. Eine
Deutlichkeit, einen Augenschein. Hierher gehöret allein das Wort offenbar,
welches ehedem nur schlechthin bar hieß, und das im folgenden Artikel
befindliche bar, bloß, in seiner figürlichen Bedeutung ist, welchem
man nachmahls zu Verhütung aller Zweydeutigkeit noch das offen vorgesetzet
hat.3. Eine Ähnlichkeit, Gleichheit, Gemäßheit, wie - lich und -
sam, und zwar jenes in seiner eigentlichen Bedeutung. In diesem Verstande wird
bar verschiedenen Substantiven und einigen Adverbien und Adjectiven
angehänget, wovon aber auch schon viele veraltet sind. Indessen scheinet
hierher zu gehören: ehrbare Handlungen, die der Ehre gemäß sind;
wunderbar, einem Wunder ähnlich; scheinbar, so fern es einem Scheine oder
der Wahrheit ähnlich bedeutet; schöppenbar, einem Schöppen
gleich, schöppenmäßig; ein mannbarer Mensch, der einem Manne
gleich ist, in einer andern Bedeutung wird es unten vorkommen; schandbar, einer
Schande gleich, schändlich; sonderbar, etwas besondern ähnlich. So
auch kundbar, ruchtbar, lautbar, mittelbar, unmittelbar, sichtbar, jagdbar,
vogtbar; die veralteten standbar, für standesmäßig, gewaltbar
für gewaltsam, friedbar für friedlich, u. s. f.In dieser Bedeutung,
in welcher bar mit dem Lateinischen par, z. B. aequipar, überein kommt,
scheinet es zu bar, bloß, zu gehören, welches in seiner
figürlichen Bedeutung auch manifestus bedeutete, wenn man es nicht lieber
von dem veralteten wara, sehen, scheinen, ableiten will.
S. Gewahr.4. Das Tragen einer Sache, in welcher
Bedeutung es nur Substantiven angehänget wird, Adverbia und Adjectiva
daraus zu bilden. Und zwar1) In eigentlicher Bedeutung, wohin lastbar und
fruchtbar gehören, was eine Last, was Früchte trägt. Bey den
Longobarden hieß Schilpor, ein Waffenträger, und die Lateinischen
Endungen - fer und - ger sind in dieser Bedeutung gleichfalls sehr häufig;
z. B. fructifer, frugifer, armiger, signifer, alifer, arundifer, astriger,
auriger, baccifer, barbiger u. s. f.2) Figürlich. (a) Den Besitz einer
Sache; z. B. wandelbar, in der heutigen Bedeutung, was einen Wandel, oder
Fehler hat; eine gangbare Münze, welche Gang oder Cours hat, ein gangbarer
Weg. So auch das Lateinische anguifer, voller Schlangen, aerifer, erzreich u.
s. f. (b) Die Hervorbringung, Verursachung einer Sache. Urbar,
einträglich, was Nutzen einträgt; furchtbar, was Furcht erwecket;
kostbar, was Kosten verursacht; nutzbar, was Nutzen bringet, und vielleicht
auch schandbar und ehrbar, wenigstens in einigen Bedeutungen. Auf gleiche Art
gebrauchten die Lateiner ihr aestifer, hitzend, anxifer, was bange macht,
fatifer, tödtlich u. a. m. (c) die Leistung, Entrichtung einer Sache.
Dankbar; dienstbar, so fern es etwas bedeutet, das wirklich Dienste leistet;
zinsbar, schoßbar, zollbar, steuerbar, so fern sie wirkliche Entrichtung
der Zinsen, Zölle und Steuern ausdrucken; denn in Ansehen der
Verbindlichkeit dazu, gehören sie zu einer der folgenden Bedeutungen. Das
Lateinische munifer, dienstbar, und andere mehr kommen in gleicher Bedeutung
vor.Es ist kein Zweifel, daß bar in dieser ganzen vierten Bedeutung zu dem
alten Verbo bären oder baren gehöret, welches nicht allein tragen,
sondern auch hervor bringen, leisten, entrichten, bedeutete.
S. Bahre und Gebären.5. Wird diese Sylbe auch sehr
vielen Verbis und besonders den Infinitivis, mit Wegwerfung der Sylbe en,
angehängt; da es denn daraus Bey- und Nebenwörter macht, welche bald
eine thätige, bald aber auch eine leidende Bedeutung annehmen, und die
Lateinischen Participia auf -ns und -ndus, und die Adjectiva auf -bilis sehr
geschickt ausdrucken.1) In der thätigen Bedeutung bezeichnen diese
Wörter, (a) das wirkliche Thun einer Sache, wie die Lateinischen
Participia auf -ns. Ein tragbarer Baum, der wirklich Früchte trägt.
Ein haltbares Erz, bey den Bergleuten, das wirklich Metall enthält.
Wachbar, bey dem Stettler, für wachsam, vigilans. (b) Die
Möglichkeit, und das Vermögen etwas zu thun. Fehlbar und unfehlbar,
der fehlen kann, oder nicht fehlen kann. Ein haltbarer Ort, der sich halten
kann. Brennbar, was brennen kann. Streitbar, was streiten kann. Eine mannbare
Jungfrau, von dem veralteten mannen, einen Mann nehmen, die heirathen kann.2)
In der leidenden Bedeutung. (a) Ein Vermögen etwas zu leiden, oder was
gethan werden kann. Tröstbar, untröstbar, was getröstet, oder
nicht getröstet werden kann. Eßbar, was gegessen werden kann. Ein
lehnbares Gut, das zu Lehn gegeben werden kann. Ein lehnbarer Mann, der
belehnet werden kann, lehnsfähig ist. So auch unläugbar, brauchbar,
theilbar, wohnbar, kennbar, zählbar, schmelzbar, schlachtbar, dehnbar,
empfindbar, trinkbar, heilbar, hörbar, reitzbar, fühlbar, schiffbar,
klagbar, mit ihren Gegensätzen, [
723-724] unbrauchbar, untheilbar u. s. f. (b) Eine Verbindlichkeit oder
Nothwendigkeit etwas zu thun, oder was gethan zu werden verdienet. Achtbar, was
zu achten ist. Ein ehrbarer Mann, so fern es einen Mann bedeutet, der Ehre
verdienet. Ein zahlbarer Wechsel, der bezahlet werden kann und muß. Eine
strafbare That. Staffelbare Güter, die gestaffelt werden können oder
müssen.Auch hier scheinet bar zu dem Verbo baren zu gehören, welches
ehedem auch überhaupt thun, oder handeln bedeutete.
S. Geberde. Vielleicht lässet es sich aber noch
bequemer zu der zweyten Hauptbedeutung zurück führen, und auch hier
durch eine Ähnlichkeit, Gleichheit und Gemäßheit
erklären.Anm. 1. Diese Endung ist ein sehr fruchtbares Hülfsmittel,
die Bedeutung eines Wortes auf mancherley Art zu verändern und zu
bestimmen. Allein ihr Gebrauch ist nichts weniger als willkürlich, indem
es nicht erlaubt ist, durch Beyfügung dieser Endung neue Wörter zu
machen, den ersten Fall der leidenden Bedeutung ausgenommen, wo man dergleichen
noch am ersten wagen darf. Singbar, spielbar, ziehbar, für, was sich
singen, spielen, ziehen lässet, und hundert andere ähnliche,
können, wenn es nöthig ist, immer gebraucht werden, wenn man in
denselben gleich keinen Vorgänger aufzuweisen haben sollte.Anm. 2. Die auf
diese Art zusammen gesetzten Wörter behalten in der Comparation ihr a
unverändert; z. B. brauchbarer, nicht brauchbärer. Die Oberdeutsche
Mundart, welche die Begriffe so gern zu häufen pflegt, als die Sylben,
hängt an dergleichen Bey- und Nebenwörter noch ein lich, um neue Bey-
und Nebenwörter daraus zu machen; z. B. dankbarlich, eigentlich auf einer
der Dankbarkeit gleiche Art, oder einem Dankbaren gleich. Die Hochdeutschen
haben diese Weitschweifigkeit lange bey behalten; allein gegenwärtig hat
sie ihr ganzes Ansehen mit Recht verloren, weil dankbarlich mit drey Sylben
eben das sagt, was dankbar schon mit zweyen ausdruckt. Für lich pflegte
man ehedem auch wohl die Endung ig, aber gleichfalls ohne Noth, daran zu
hängen; dankbarig für dankbar. Mit mehrerm Nutzen lassen sich
vermittelst der Endung keit, Hauptwörter aus diesen Adverbiis bilden;
Dankbarkeit, Dienstbarkeit, Fruchtbarkeit, Furchtbarkeit, Jagdbarkeit u. s. f.
nur daß sie eben auch nicht von allen üblich sind.Anm. 3. Im
Oberdeutschen lautet diese Endung par. Ehedem gebrauchte man statt derselben
auch die Endungen -brecht, -mer, und -ig; als lautbrecht für lautbar,
früchtig für fruchtbar, unsichtig für unsichtbar u. s. f. In den
Fällen wo bar von bären, tragen, herkommt, kommen die damit zusammen
gesetzten Wörter bey den alten Alemannen selten, bey den Angelsachsen aber
häufiger vor. Hingegen sind die Wörter, welche unter die dritte
Bedeutung gehören, auch bey den erstern nicht selten. Es findet sich
indessen schon in den ältesten Sprachen eine Ableitungssylbe, welche mit
unserm bar, so wohl in dem Klange, als in der Bedeutung überein kommt. So
sind im Hebräischen -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - und -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - zwey Endungen subiecti denominativi et
possessivi; z. B. -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , ein Schatzmeister, von -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - , ein Schatz. Auch im Persischen
bedeutet die Endung -ber einen, der etwas träget oder bringet; ein
Umstand, der das hohe Alterthum des Verbi bären, tragen, schon allein
beweisen würde, wenn dasselbe gleich nicht aus andern Gründen bekannt
wäre.
S. Bahre und Gebären. Das Wort Nachbar gehöret
nicht hierher, denn hier ist die letzte Sylbe aus Bauer zusammen gezogen.2.
[
725-726]