Das Auge
, des -s, plur. die -n, Diminutivum das Äuglein, vulg.
Äugelchen, das Werkzeug des Sehens in den menschlichen und thierischen
Körpern.I. In eigentlicher Bedeutung, da es wohl dieses Werkzeug selbst,
als auch das Sehen, welches dadurch verrichtet wird, ausdrücket. Scharfe,
gute, blöde Augen haben. Ein schmachtendes Auge, das halb geschlossen ist
und Sehnsucht, Verlangen, oder eine andere sanfte Empfindung verräth. Auf
einem Auge nicht wohl sehen können. Auf beyden Augen blind seyn. Er ist
bey dieser Gelegenheit um seyn rechtes Auge gekommen. Sie betrachtet ihn, ohne
ein Auge zu verwenden. Etwas mit unverwandten Augen ansehen. Die Augen auf
etwas werfen. Die Augen auf etwas heften, lange und aufmerksam darauf sehen.
Die Sache liegt vor Augen, ist unläugbar. Das fiel uns sogleich in die
Augen. Das fällt schön in die Augen, hat eine gute Gestalt.
Wer nicht sehr ins Auge fällt, Den beneidet nicht die
Welt, Weiße.
Jemanden in die Augen fassen, ihn aufmerksam ansehen. Er hat
mich nicht eine Minute aus den Augen gelassen, beständig angesehen. Es ist
mir aus den Augen gekommen, vor meinen Augen verschwunden. Ein wachsames Auge
auf etwas haben, es sorgfältig beobachten, in Acht nehmen. Thue die Augen
auf, im gemeinen Leben, gebrauche dich deiner Augen mit Aufmerksamkeit und
Bewußtseyn. Rollende Augen, die sich wegen einer heftigen Leidenschaft
schnell hin und her bewegen.
Mein Auge rollt verwirrt und sieht ihn schüchtern an,
Schleg.
Große Augen machen, eine lebhafte Verwunderung
äußern.
Ich denke noch daran, was er für Augen machte, Als deine
Mutter ihn in unsere Reihen brachte, Rost.
Die Augen laufen mir über, werden mit Wasser
angefüllet, wiez. B. bey Erblickung eines allzu starken Lichtes. Der
Diamant blendet mich ganz und macht, daß mir die Augen überlaufen,
Gell. Die Augen gingen ihm über, er fing an zu weinen. Mit nassen,
thränenden Augen. Es wird nasse Augen setzen. Ich kann es nicht mit
trockenen Augen, nicht ohne Thränen, ansehen. Die Augen standen ihm voll
Wasser, voll Thränen. Die Augen fingen ihm an zu brechen, wenn sie halb
geschlossen sind, entweder bey einer heftigen Sehnsucht, oder auch kurz vor dem
Tode. Einem die Augen zudrücken, bey dem Sterben.Im gesellschaftlichen
Umgange wird dieses Wort oft überflüssig gesetzt, um den ganzen
Ausdrucke einen größern Nachdruck zu geben. Ich habe es mit meinen
Augen gesehen, sehr deutlich und zuverlässig. Ich habe ihn mit keinem Auge
gesehen, gar nicht. Man siehts mit Augen, deutlich genug.Die Absicht und
Wichtigkeit dieses Werkzeuges hat im gemeinen Leben viele figürliche Arten
zu reden veranlasset, wovon hier nur ein Paar zur Probe angeführet werden
sollen. Einem ein Dorn, oder Stachel in dem Auge seyn, nicht gerne von ihm
gesehen werden. Mit einem blauen Auge, mit einem erträglichen Verluste,
davon kommen. + Das Kalb in die Augen schlagen, nach einer niedrigen Figur,
jemandem auf der empfindlichsten Seite beleidigen. Man muß ein Auge
zudrücken, die Sache geschehen lassen, thun, als wenn man sie nicht
sähe. Einem ein Auge verkleistern, ihm die wahre Beschaffenheit einer
Sache verhehlen. Einem Staub in die Augen streuen, ihn verblenden, eine
ungegründete Sache als Wahrscheinlich vorstellen. Es schickt sich, wie
eine Faust auf das Auge, gar nicht. Einem den Daumen auf das Auge setzen, ihn
in den gehörigen Schranken, in seiner Gewalt halten. In Niedersachsen
bedeutet, einem etwas auf das Auge drücken, ihn bestechen. Einem nicht die
Augen im Kopfe gönnen, ihm nichts gönnen. So lange mir noch die Augen
offen stehen, so lange ich lebe. Die Augen zuthun, schlafen. Ich habe diese
Nacht kein Auge zugethan, edler geschlossen. Ingleichen, sterben. Wenn dein
Vater die Augen zuthun wird. Er mußte die Augen darüber
zudrücken, sterben. Keine Krähe hackt der andern die Augen aus u. s.
f.Folgende Arten des Ausdruckes sind in der höhern Schreibart der Neuern
seit einiger Zeit üblich geworden. Seine Augen zerfließen in
Thränen. Ihr Auge floß von Zähren, Weiße.
Dein Aug wird jetzt um mich in Thränen schwimmen,
Dusch. Deine Augen schwommen in zärtlichen Freudenthränen, ebend.
Wobey man aber nicht an die lumina natantia der Römer
denken muß, welche einen andern Begriff ausdruckten. Mein nasses Auge hing
starr auf deinem Gesichte, wenn du so redetest, ebend.
Mit was für sehnsuchtsvollem Blick Ihr Aug an seinem Auge
hing! Gell.- - O welch EntzückenTrinkt mein erloschnes Herz aus diesen
sanften Blicken! Weiße.Die offnen Augen kleben An allem starr, Kleist.
II. Außer der bereits bemerkten Empfindung des Sehens
wird dieses Wort noch in einigen andern figürlichen Bedeutungen gebraucht.
So bezeichnet es,1. Jemandes Mienen und Geberdern, so fern sie Dollmetscher der
innern Empfindungen sind. Es wird schele Augen setzen, im gemeinen Leben. Ich
that alles, was ich ihm nur an den Augen ansehen konnte. [
557-558]
Ich sah es ihm sogleich an seinen Augen an, Daß du ihm
wohl gefielst, Rost.
Er las meinen Willen in meinen Augen, in der höhern
Schreibart. Wie zitterte ich, wenn dein Auge einen geheimen Gram verrieth! Aber
auch so fern sich der ganze Charakter des Herzens und des Geistes in ihnen
schildert. Der Schalk siehet ihm aus den Augen. Es siehet ihm nichts Gutes aus
den Augen. Nun sehen sie aus andern Augen, sie sehen jetzt weit besser aus.2.
Bedeutet es auch so viel als den Anblick, die Gegenwart einer Person. Komm mir
aber nicht vor meine Augen. Einem unter die Augen gehen, treten oder kommen.
Einem aus den Augen gehen. Ich kann ihn nicht vor Augen leiden. Er siehet mein
Unglück vor Augen. Einem die größten Grobheiten unter die Augen
sagen. Vor den Augen der ganzen Welt. Sich eines Augen entziehen. Wache
über jeden seiner Schritte und laß ihn nicht aus den Augen. Dem Tode,
der Gefahr unerschrocken unter die Augen gehen, entgegen gehen. Unter vier
Augen, bloß in Gegenwart der andern Person.3. Noch öfter wird es
für die Folgen und Wirkungen des Sehens gesetzt, und da bezeichnet es,1)
Die Einbildungskraft und das Gedächtniß. Die Sache schwebt mir vor
den Augen. Gott vor Augen haben. Etwas aus den Augen setzen, zur Ungebühr
vergessen, oder zu vergessen scheinen; so daß dieser Ausdruck alle Mahl
einen nachtheiligen Nebenbegriff hat. Ehedem wurde er auch im guten Verstande
für vergessen überhaupt gebraucht; z. B.
Der alle Schuld, damit du ihn verletzet, Dir herzlich schenkt,
und aus den Augen setzet, Opitz, Ps. 103.
2) Das Begehrungsvermögen. Ein Auge auf etwas werfen,
die Sache lieb gewinnen, heimlich darnach trachten. Ein Auge auf etwas haben,
insgeheim darnach streben. Das sticht ihm in die Augen, im gemeinen Leben,
reitzet sein Verlangen. Die Augen an etwas weiden, es mit Vergnügen sehen,
sich daran belustigen. Wie würde sich ihr Auge an meiner Verwirrung
weiden!
Ihr seht, wir haben Wein, Und was die Augen nur verlangen,
Wiel.
3) Das ganze Vermögen zu erkennen und zu beurtheilen.
Die Sache liegt vor Augen, ist deutlich, unläugbar. Einem die Augen
verblenden, den richtigen Gebrauch seines Verstandes und seiner Vernunft
hindern. Einem die Augen öffnen, ihm klare Erkenntniß einer Sache
verschaffen. Die Augen gehen ihm auf, er bekommt eine deutliche
Erkenntniß, lernet die Sache nach ihrer wahren Beschaffenheit kennen. Ich
hoffe, daß ihnen endlich die Augen zu ihrem Besten aufgehen werden. Es
ist, als ob mir die Augen auf einmahl aufgingen. Wie vieles verbirgt nicht eine
Stunde den Augen der Menschen! In seinen Augen, nach seinem Urtheile, ist ein
Reicher ohne Unterschied ein ungerechter Mann. Muß er nur darum ein
Betrieger seyn, weil ich in ihren Augen so liebenswürdig bin? Gell. Eine
Sache mit einem kritischen Auge, mit dem Auge eines Kenners ansehen. Ich sehe
sie seit einiger Zeit mit ganz andern Augen an. Hierher gehöret auch der
biblische Gebrauch des Wortes Auge, wo durch das Auge Gottes dessen
Allwissenheit und Allgegenwart, durch Augen des Verstandes aber die Einsicht
und Beurtheilungskraft angedeutet wird.III. Endlich wird dieses Wort auch
häufig gebraucht, verschiedene andere Dinge damit zu benennen, welche in
ihrer äußern Gestalt einige Ähnlichkeit mit dem Auge haben. So
führen den Nahmen des Auges, oder der Augen:1. Die Puncte auf den
Wünschen, welche den Werth einer jeden Fläche andeuten. Auf die
meisten Augen spielen. Vier, fünf u. s. f. Augen werfen. In den
Spielkarten werden diejenigen Karten, welche keine Bilder haben, Augen genannt.
Eben daselbst führet auch die Zahl des Werthes der Blätter diesen
Nahmen. Ich habe kein Auge in meiner Karte. Er hat die meisten Augen. + Auf
seinen fünf Augen bestehen, hartnäckig bey seiner Meinung beharren;
von den Augen auf den Würfeln.2. An den Bäumen und Pflanzen, die aus
der Schale hervor brechenden Keime, unentwickelte Blüthen und Zweige; die
Knospen, in Oberdeutschland Butzen und Brossen, in Niedersachsen Bollen. An den
Weinstöcken werden sie auch Palmen genannt. Daher Augen bekommen,
gewinnen, setzen oder schießen.3. In den Schmelzhütten führet
diesen Nahmen auch der so genannte Leimpotzen, der bey dem großen
Garmachen des Kupfers, bey der Form auf die Herdsohle gelegt wird, damit das
Gebläse etwas daran stoße. An andern Orten heißt er auch die
Tasche.4. In den Küchen führet der kleine Punct in dem hellesten
Theile des Weißen eines Eyes, welcher für den Anfang des Thieres
gehalten wird, ingleichen ein Tropfen Fett auf den Brühen, den Nahmen
eines Auges.5. Ein gediegenes Körnlein an den Erzstufen wird in den
Bergwerken gleichfalls ein Auge genannt, und6. An dem Reitgeschirre hat diesen
Nahmen der höchste Theil an den Stangen, der platt und durchbrochen ist,
das Hauptgestell darein zu schnallen.7. Das Auge der Zeuge in den Manufacturen
bedeutet den Glanz und das äußere Ansehen der Zeuge, so wie eben
dieser Ausdruck an den Perlen, Diamanten und andern Edelsteinen ihr Feuer und
ihr Glanz ausdruckt, welcher man auch ihr Wasser nennet. So sagt man z. B.
dieser Diamant hat ein schwärzliches Auge, wenn seyn Glanz in das
Schwärzliche spielet.8. Endlich hat man diesen Nahmen auch auf mancherley
Arten von Öffnungen und Löchern in andern Körpern angewandt. So
werden die Schleifen oder Ringe in den Schäften eines Weberstuhles,
wodurch die Kettenfäden gehen, Augen genannt. Dahin gehöret das Auge
der Schnecke in der Baukunst, welches in einer kleinen Zirkelfläche mitten
in den Schnecken der Capitäler bestehet; das Auge an dem Kernobste,
derjenige Theil, welcher aus dem verdorrten Blumenkelche entstehet; das Auge
der Feuerwerker, eine kleine hölzerne Rinne, durch welche die Pulverwurst
in die Minenkammer gehet; das Auge in den Schmelzöfen, dasjenige Loch,
durch welches das flüssige Metall abgelassen wird; das Auge an den
Werkzeugen der Bergleute, dasjenige Loch, durch welches der Stiel gestecket
wird; das Auge einer Nähnadel, das Öhr in derselben; die Augen in
einem Käse, die Löcher in demselben u. s. f. Hühneraugen,
Krebsaugen und andere eben so uneigentliche Benennungen kommen an ihrem Orte
vor.Anm. Die Benennungen dieses Werkzeuges des Sehens haben in den
Europäischen Sprachen eine merkwürdige Übereinstimmung mit
einander. Aus dem Hesychius erhellet, das die Griechen das Auge auch -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - genannt
haben. Aber auch die Benennung -
hier nichtlateinischer Text, siehe Image - gehöret hierher, weil sie ehedem
gleichfalls die Augen bedeutete. Von dem erstern Ausdrucke haben die Lateiner
vermuthlich ihr oculus, welches das Diminutivum von einem veralteten occus ist.
Das Angelsächsische Eage, das Engl. Eye, das Schwedische Öga, das
Dänische Oye, und das Holländische Ooghe kommen dem Hochdeutschen
Auge und Niedersächsischen Oge noch näher. So gar in den Slavonischen
Mundarten heißt [
559-560] es Oko, und die Krimmischen
Tatarn sollen es Oge nennen.
S. auch Eiland und Ey. [
561-562]